Zwangsprostitution mitten in Zürich oder anderen europäischen Grossstädten: Sklavinnen des 21. Jahrhunderts…

Wer am Schweizer Fernsehen SRF1 den am 14. September 2023 ausgestrahlten Dokumentarfilm über Zwangsprostitution in Europa gesehen hat, musste schon überaus starke Nerven haben, um anschliessend noch ruhig schlafen zu können. Zu unbeschreiblich gross ist das Ausmass der Gewalt, Erniedrigung und Ausbeutung, unter dem Abertausende Frauen aus Nigeria, anderen afrikanischen Ländern oder aus Lateinamerika zu leiden haben, die von international agierenden Menschenhändlerorganisationen mit dubiosen Versprechungen nach Europa geholt werden und hier dann, zu viert oder zu fünft zusammengepfercht in winzigen, schäbigen Mietwohnungen mitten in Zürich oder anderen europäischen Grossstädten nicht nur der Gewalt der Menschenhändler, sondern auch der Gewalt all jener Männer, die ihre Dienste in Anspruch nehmen, gnadenlos ausgeliefert sind.

Sklavinnen des 21. Jahrhunderts: Der grösste Teil des Gewinns, den sie durch ihre Zwangsprostitution erwirtschaften, landet in den Taschen der Menschenhändlerorganisationen. Weigert sich eine Frau, das geforderte Geld abzugeben, oder hat sie zu wenige Freier, um genügend Geld zusammenzubringen, drohen ihnen ihre Peiniger, von denen sie rund um die Uhr überwacht und kontrolliert werden, sogleich damit, ihren in der Heimat zurückgebliebenen Familien grösstes Land anzutun, sie allenfalls sogar umzubringen, sodass die Frauen dermassen eingeschüchtert sind, dass sie es nicht einmal wagen, aus ihrer Zwangslage auszubrechen und sich an die Polizei oder eine Hilfsorganisation zu wenden. Jegliche Versuche, durch Polizeiaktionen den Menschenhändlern das Handwerk zu legen, verpuffen im Leeren: Augenblicklich werden die Frauen an einen anderen Ort verfrachtet, stets ziehen Ordnungskräfte und staatliche Stellen in diesem Katz-und-Maus-Spiel den Kürzeren.

Doch zu einseitig wird in Reportagen wie dieser die alleinige Schuld an solchen Missständen skrupellosen Menschenhändlerorganisationen oder, im Falle der nach Europa drängenden Flüchtlinge, profitsüchtigen Schlepperbanden in die Schuhe geschoben. Diese Sicht greift viel zu kurz. Zwangsprostituierte ebenso wie Flüchtlinge, die einen wie die anderen hauptsächlich aus Afrika oder Lateinamerika stammend, sind nicht in erster Linie Opfer von Menschenhändlern und Schlepperbanden. Sie sind in erster Linie Opfer einer bald 500 Jahre andauernden, mit dem transatlantischen Sklavenhandel zwischen Afrika und Amerika begonnenen Geschichte wirtschaftlicher und kolonialistischer Ausbeutung des Südens, insbesondere Afrikas und Lateinamerikas, durch den Norden, allen voran Westeuropa und die USA. Während der Norden durch systematische Ausplünderung des Südens immer reicher wurde, versank der Süden gleichzeitig in immer grössere Armut. Das geht auch heute noch unvermindert so weiter: Während die afrikanischen und lateinamerikanischen Länder, welche über die wertvollsten Bodenschätze wie Öl, Gold, Edelmetalle und vieles mehr verfügen, dennoch immer ärmer werden, machen nordamerikanische und europäische Grosskonzerne mit dem Handel und der industriellen Verarbeitung eben dieser Rohstoffe sowie mit dem Profit aus ebenfalls hauptsächlich aus Afrika und Lateinamerika stammenden Nahrungsmitteln wie Kaffee, Kakao und tropischen Früchten ihre Milliardengeschäfte. Die Armut im Süden ist die unmittelbare Folge eines kapitalistischen Wirtschaftssystems, das die Reichen immer reicher und gleichzeitig die Armen immer ärmer macht.

Gäbe es in den Ländern des Südens keine Armut, keinen Hunger, keine Arbeitslosigkeit und bestünden dort echte Zukunftsperspektiven, dann gäbe es auch keine Flüchtlinge, keine Migration, keine Zwangsprostitution, keine Menschenhändlerorganisationen und keine Schlepperbanden. Es ist, aus der Sicht von uns reichen Europäerinnen und Europäern, einfach und billig, mit den Fingern auf skrupellose – ihrerseits zum grössten Teil aus den südlichen Ländern stammenden – Menschenhändlern und Schlepperbanden zu zeigen. Die wahren Schuldigen, das sind wir selber, unsere Vorfahren, welche mit der kolonialistischen Ausbeutung begannen, und uns, welche sie nahtlos weiterführen. Polizeirazzien, Hilfswerke und Beratungsstellen für Frauen, die aus der Zwangsprostitution auszusteigen versuchen, Gesetze zur rechtlichen Besserstellung von Prosituierten, usw. – all das ist reine Symptombekämpfung und geht nicht an die tatsächlichen Wurzeln des Problems. Dieses und auch alle anderen Formen weltweiter Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutungsstrukturen werden erst dann ein Ende haben, wenn an die Stelle der kapitalistischen, auf Ausbeutung und Profitmaximierung ausgerichtete Wirtschaftspolitik eine von Grund auf andere Wirtschaftsordnung getreten sein wird, in welcher alle Güter, aller Reichtum und alle sozialen Rahmenbedingungen weltweit so gerecht verteilt sind, dass niemand mehr gezwungen ist, seine eigene Heimat zu verlassen und unsägliche Opfer auf sich zu nehmen, bloss um einigermassen überleben zu können.