Zunahme von Stress und Druck: Die Arbeitswelt als Rennbahn sich gegenseitig konkurrenzierender Unternehmen

Trotz weniger Stunden pro Woche und mehr Ferien steigt in der Schweiz die Zahl der Personen, die den Arbeitsplatz als Belastung empfinden. Jeder Fünfte gab 2017 bei der letzten Gesundheitsbefragung an, “immer oder meistens” im Job Stress zu erleben, auf weitere 45 Prozent trifft das “manchmal” zu. Beide Anteile haben gegenüber 2012 zugenommen. Ein Grund für den Anstieg ist der Zeitdruck, dem viele regelmässig ausgesetzt sind. Die Hälfte gibt an, mindestens drei Viertel der Arbeitszeit in hohem Tempo oder unter Termindruck arbeiten zu müssen. Als positiv wird hingegen von einer bedeutenden Mehrheit empfunden, dass sie von der Hilfe und Unterstützung ihrer Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit profitieren könnten: 2017 gaben mehr als 71 Prozent an, “meistens” oder “immer” darauf zählen zu können.

(Tages-Anzeiger, 30. Juli 2020)

Als ginge ein tiefer Graben durch die Arbeitswelt: Der Mitarbeiter im eigenen Betrieb ist mein Freund und Helfer, die Mitarbeiter aller anderen Firmen sind meine Feinde. Denn die gesamte Arbeitswelt gleicht einer riesigen Rennbahn, auf der sich jede Firma in einem ständigen Wettlauf mit allen anderen Firmen befindet, in einem permanenten gegenseitigen Überlebenskampf, aus dem nur die Besten und Schnellsten als Sieger hervorgehen und all jene, die das Tempo nicht mitzuhalten vermögen, früher oder später auf der Strecke bleiben. Dabei nehmen, genau gleich wie beim Hochleistungssport, der Druck und das Tempo zwangsläufig immer mehr zu, denn jeder Vorsprung, den sich eine einzelne Firma herausgeholt hat, zwingt alle anderen dazu, ihr eigenes Tempo noch weiter zu verschärfen, um diesen Vorsprung wieder einzuholen und nicht abgehängt zu werden. Dies erklärt die zunehmende Zahl von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die ihren Arbeitsplatz als Belastung erleben und unter häufigem oder permanentem Stress leiden. Ewig kann das nicht so weitergehen, sonst gelangen wir früher oder später an den Punkt, an dem die Menschen physisch oder psychisch schlicht und einfach nicht mehr in der Lage sein werden, die von ihnen geforderte Leistung zu erbringen – etwas, was wir heute im Spitzensport mit seiner zunehmenden Zahl an Verletzungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen bereits überaus drastisch erleben. Wir brauchen eine Arbeitswelt, in der das Verhältnis zwischen den Firmen nicht von einem gegenseitigen Wett- und Verdrängungskampf bestimmt ist, sondern von gegenseitiger Unterstützung und Kooperation. Damit nicht nur der Arbeitskollege im eigenen Betrieb mein Freund und Helfer ist, sondern auch der Mitarbeiter und die Mitarbeiterin aller anderen Firmen und Unternehmen, und dies nicht nur innerhalb des gleichen Landes, sondern weltweit.