Wo wird das alles nur enden?

Die Protestbewegung der «Gelbwesten» in Frankreich geht weiter. Täglich wächst die Liste der Gruppen Unzufriedener, die sich dem Aufstand anschliessen. Lastwagenfahrer und Landwirte wollen in der kommenden Woche streiken. Gymnasiasten in Marseille, Paris, Lyon und Toulouse blockieren ihre Schulen und liefern sich Strassenschlachten mit der Polizei, Studenten bestreiken die Universitäten. Krankenwagenfahrer sperren die Place de la Concorde in Paris. Die Bahngewerkschaft Sud Rail ruft ihre Mitarbeiter zum zivilen Ungehorsam auf. Jeder sieht den Moment gekommen, auf sich und seine Agenda aufmerksam zu machen. Und die Proteste werden zunehmend von Gewalt geprägt. Es wird befürchtet, dass mit der Zeit auch die berüchtigten Banlieue-Zonen in die Protestbewegung einsteigen könnten. Auf dem Fernsehsender France 2 fragte eine ältere Dame: «Wo wird das alles nur enden?»

(Tages-Anzeiger, 7. Dezember 2018; W&O, 7. Dezember 2018)

Es liegt in der Natur des Kapitalismus, dass durch die permanente Umverteilung des Reichtums die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Auch in Frankreich gibt es neben einer Elite Superreicher eine zunehmend wachsende Bevölkerungsschicht, die sich nicht einmal das Allernotwendigste mehr leisten kann. In diesen Familien reicht das Geld noch knapp für Miete und Essen, es reicht aber beispielsweise nicht mehr, um mit den Kindern in den Freizeitpark zu fahren oder um zu zweit ins Restaurant zu gehen. Nun ist das Fass offensichtlich zum Überlaufen gekommen. Die ganze Wut der Entrechteten und Ausgebeuteten manifestiert sich nun – wie in der berühmten Französischen Revolution von 1789 – gegen die Ausbeuter – und damit gegen Präsident Macron. Doch der Aufstand ist diffus, jede Gruppe kämpft für ihr eigenes Gärtchen. Es fehlt eine umfassende Gesamtschau, eine überzeugende Alternative zum Kapitalismus, bei der nicht die Bedürfnisse und Privilegien der einen oder anderen Gruppe im Vordergrund stehen, sondern die Vision einer solidarischen, sozial gerechten Gesellschaft, in der alle Menschen am gemeinsamen Reichtum einen fairen Anteil haben.