Wirtschaftsnobelpreis in kapitalistisch-patriarchalem Mainstream

 

Der Wirtschaftsnobelpreis 2021 geht an die drei in den USA forschenden Ökonomen David Card, Joshua Angrist und Guido Imbens. Card erhält den Preis für seine “empirischen Beiträge zur Arbeitsökonomie”, die beiden anderen für ihre “methodischen Beiträge zur Analyse von Kausalzusammenhängen”. Drei Männer, aber keine Frau. Alle in den USA tätig. Bloss ein Zufall? Wohl kaum. Der Kapitalismus und das Patriarchat feiern sich einmal mehr wieder selber. Wetten, dass sich die Forschungstätigkeit der drei Preisträger schön brav im kapitalistischen Mainstream bewegt, der Titel ihrer Arbeiten lässt wohl kaum etwas anderes erwarten. Dabei ist der Kapitalismus doch, wenn wir ehrlich sind, angesichts aller von ihm verursachten sozialen, ökonomischen und ökologischen Zerstörungen definitiv ein Auslaufmodell und nichts wäre daher in der heutigen Zeit so dringend wie die Entwicklung eines alternativen Wirtschaftsmodells, welches Mensch und Natur wieder in Einklang bringt, alle Formen von Ausbeutung überwindet und ein gutes Leben für alle Menschen auf diesem Planeten Wirklichkeit werden lässt. Gibt es wirklich weltweit keinen einzigen Forscher, keine einzige Forscherin, die auf diesem Gebiet tätig ist? Und wenn es tatsächlich niemanden gäbe, müsste dann ehrlicherweise mit der Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises nicht zugewartet werden, bis ein Ökonom oder eine Ökonomin gefunden wäre, die auf diesem Gebiet forschen würde? Doch der diesjährige Wirtschaftsnobelpreis ist nicht nur ein Preis für drei Männer, nicht nur ein Preis für den Kapitalismus und nicht nur ein Preis für die USA, wo die drei Ökonomen tätig sind. Es ist auch ein Preis für drei Männer, die zweifellos auf der obersten Etage der weltweiten gesellschaftlichen Machtpyramide leben und arbeiten, gesegnet mit unzähligen Privilegien, von denen 99 Prozent der Weltbevölkerung nur träumen können. Wirtschaft – das ist in ihrem Verständnis und im Verständnis des Nobelpreiskomitees ein “Forschungsprojekt”, etwas für “Gescheite” und “Studierte”, etwas, was an Universitäten vermittelt, worüber Bücher geschrieben werden und wofür man Preise, Ansehen, Prestige, Lorbeeren und Berühmtheit erringen kann. Schon der Titel ihrer Forschungsprojekte tönt so “hochgestochen”, dass der Durchschnittsbürger, die Durchschnittsbürgerin schon gar nicht auf die Idee kommt, sich näher damit zu befassen. Doch eigentlich wäre Wirtschaft das Alltäglichste unseres Lebens. Wir alle sind Ökonominnen und Ökonomen. Und am allermeisten beherrschen diese Kunst ausgerechnet jene Menschen, die am weitesten, ja geradezu Lichtjahre weit von irgendwelche Universitätsdozenten, tausendseitigen Fachbüchern und Nobelpreisen entfernt sind: die alleinerziehende Verkäuferin hierzulande, die auf den Rappen genau berechnen muss, ob das gewünschte Duschgel, eine kleine Stoffpuppe für die Kinder oder eine Fahrradklingel im Haushaltsbudget noch drin liegen, um am Ende des Monats noch genug Geld zu haben für das Brot und die Milch; der norwegische Fischer, der knallhart kalkulieren muss, wie viele Fische er fangen und zu welchem Preis er sie zu verkaufen hat, um eine längst fällige Reparatur an seinem Boot vornehmen zu können; der brasilianische Kakaobauer, der auf den Real genau berechnen muss, wie viele Pestizide er sich leisten kann, um für seine Ernte noch einen Gewinn verbuchen zu können; die tansanische Gemüsebäuerin, die auf dem Markt ihre Produkte feilhält und das wenige Ersparte unter Verzicht auf alles “Überflüssige” dafür aufwenden muss, dass ihre Kinder die Schule besuchen können. Führen wir uns das privilegierte Leben von Ökonomieprofessoren auf der einen Seite und den täglichen Überlebenskampf, dem eine überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung tagtäglich ausgeliefert ist, auf der anderen Seite vor Augen, dann wäre es doch zweifellos aller höchste Zeit, den nächsten Wirtschaftsnobelpreis jener namenlosen Frau und jenem namenlosen Mann zu verleihen, die sich Tag für Tag alle Beine ausreissen, um sich und ihre Familien über Wasser zu halten, mit aller Kunst der Ökonomie, die auch vom gescheitesten Universitätsprofessor niemals übertroffen werden könnte…