Wie wenn das Billigste immer das Beste wäre

59 Züge des Typs FV-Dosto bestellten die SBB 2010 für 1,9 Milliarden Franken beim kanadischen Bahnbauer Bombardier. Doch die Auslieferung der vermeintlichen Prestigezüge verzögert sich seit fünf Jahren. Erst seit Dezember 2018 verkehren die ersten zwölf FV-Dosto im fahrplanmässigen Betrieb, wegen technischer Probleme sind sie aber nur eingeschränkt einsetzbar. Täglich kommt es zu rund drei Störungen, eine davon ist ein Zugsausfall. Am meisten Probleme machen die Türen und die Leittechnik, zudem tritt extremes Schütteln auf, besonders bei niedriger Geschwindigkeit und der Fahrt über Weichen. Im Moment fahren in jedem Zug ein zusätzlicher Lokführer, zusätzliches Zugpersonal und ein Techniker von Bombardier mit. Gegenseitige Schuldzuweisungen und Streitigkeiten zwischen SBB und Bombardier, wer für welche Kosten aufzukommen hat, sind schon in vollem Gange.

(Tages-Anzeiger, 12. Februar 2019)

Die absurden Folgen des kapitalistischen Konkurrenzprinzips. Die SBB sind gehalten, den Auftrag an jenen Anbieter zu vergeben, der zum geringsten Preis das beste, komfortabelste und technisch ausgefeilteste Angebot macht. Ein Widerspruch in sich, müsste sich doch eigentlich durch die vielen in Aussicht gestellten Extraleistungen der Preis eher erhöhen. Aber so wie der Käufer – die SBB – gezwungen ist, den Auftrag an den kostengünstigsten Anbieter zu vergeben, so ist der Anbieter – hier die Firma Bombardier – gezwungen, zu einem möglichst tiefen Preis eine möglichst hohe Leistung zu versprechen, da er ja auf keinen Fall den Auftrag an die Konkurrenz verlieren will. Die hohe Leistung, der tiefe Preis und die Terminzusicherung werden unter dem Konkurrenzdruck in Aussicht gestellt, obwohl eigentlich allen, sowohl dem Anbieter wie dem Käufer, klar sein müsste, dass sie realistischerweise gar nicht erfüllt werden können. Beide, Anbieter wie Käufer, sitzen im gleichen Gefängnis des «freien Marktes», der sie zu sinnlosen, kopflosen, unrealistischen und letztlich viel aufwendigeren, ärgerlichen und kostspieligeren Massnahmen zwingt, aus dem zuletzt schliesslich alle als Verlierer hervorgehen: die SBB, weil sie die bestellten Züge nicht rechtzeitig bekommt und sich mit technischen Unzulänglichkeiten aller Art herumschlagen muss, die Bahnreisenden, die immer wieder mit Unannehmlichkeiten und Ausfällen der neuen Züge konfrontiert sind, und schliesslich auch der Hersteller der Züge, der unter gewaltigem öffentlichem Druck steht und für die schlecht oder zu spät erbrachten Leistungen finanziell aufkommen muss. Bei alledem war die Rede noch nicht einmal davon, weshalb es denn unbedingt eine kanadische Firma sein muss, welche diesen grössten je getätigten Auftrag der SBB zugesprochen bekommen hat. Wie wenn es in der Schweiz keine Firmen und keine Fachleute gäbe, die einen qualitativ und technisch ausgefeilten Zug bauen könnten…