Wettbewerb am falschen Ort: Der lange Leidensweg bis zur Einführung einer Einheitskrankenkasse…

 

“Nur auf den ersten Blick wäre eine Einheitskrankenkasse das günstigere Modell”, sagt Santésuisse-Direktorin Verena Nold in “20minuten” vom 4. November 2022, “die Verwaltungskosten machen lediglich fünf Prozent der Gesamtkosten aus. Eine Einheitskasse könnte bei den Verwaltungskosten fast in keinem Bereich Einsparungen erzielen, insgesamt würde es eher teurer werden – und zudem andere Nachteile bringen: So hätten wir keine freie Wahl des Krankenversicherers mehr.”

Eine Aussage, die sich nur schwer nachvollziehen lässt. Es liegt doch auf der Hand, dass eine Einheitskrankenkasse gegenüber 58 Einzelkassen, von denen jede ihren eigenen Verwaltungsapparat hat, weit geringere Verwaltungskosten hätte. Gut vergleichbar ist die AHV, welche mit Verwaltungskosten von 1,3 Prozent des Gesamtaufwands auskommt, also fast vier Mal weniger als sämtliche Krankenkassen. Zudem käme es zu einer massiven Reduktion bei den Managergehältern, von denen die zehn schweizweit am höchsten zwischen 480’000 und 955’000 Franken liegen. Ebenfalls würden all jene Werbekosten wegfallen, mit denen sich heute die einzelnen Krankenkassen ihre Kundschaft gegenseitig abspenstig zu machen versuchen. Auch die weitverbreitete Praxis, wegen der finanziellen Belastung keine Risikopatientinnen und Risikopatienten aufzunehmen, würde wegfallen, die Einheitskrankenkasse wäre offen für alle, ganz unabhängig von ihrem Gesundheitszustand . Schliesslich hätte eine Einheitskrankenkasse den immensen Vorteil, dass ihre Verhandlungsposition bei Tarifverhandlungen mit der Pharmaindustrie, der Ärzteschaft und den Spitälern viel stärker wäre, als dies beim heutigen Wildwuchs an sich gegenseitig konkurrenzierender Kassen der Fall ist. Zwar können sich Krankenversicherer heute schon zusammenschliessen und bei den Grundversicherungen gemeinsam verhandeln. Nur ist das mit einem riesigen Aufwand und vor allem erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden. Denn sie müssen in jedem Fall vorher bei der Rechtskommission der Wettbewerbskommission ein sogenanntes Widerspruchsverfahren anstrengen, um nicht gegen das Wettbewerbsrecht zu verstossen.

Ja, der “Wettbewerb” ist bei allem stets die höhere Instanz, die heilige Kuh, der alles andere untergeordnet wird. Dies zeigt sich auch in der Aussage von Santésuisse-Direktorin Verena Nold, wenn sie sagt, dass einer der grössten Nachteile einer Einheitskrankenkasse darin bestünde, dass “wir keine freie Wahl der Krankenversicherer mehr hätten.” Im Klartext: Wir leiden zwar immer stärker unter höheren Prämien, aber Hauptsache, es ist Wettbewerb. Ein Wettbewerb, der sich vor allem auch in der jährlichen Werbeschlacht manifestiert, mit der die einzelnen Versicherer ihren Konkurrenten möglichst viel Kundschaft abzujagen versuchen, mit möglichst tiefen Prämien, die oft nicht einmal kostendeckend sind – um dann später gezwungen zu sein, die Preise wieder hochzufahren. Ein reines Nullsummenspiel, das an einen Supermarkt erinnert, wo einzelne Produkte zu nicht einmal gewinnbringenden Preisen angeboten werden, nur um möglichst viele Kundinnen und Kunden anzulocken und damit den Gesamtumsatz zu steigern. Hauptsache, Wettbewerb herrscht, egal mithilfe welcher Opfer und Absurditäten auch immer…

Viermal hat die Schweizer Bevölkerung über die Einführung einer Einheitskrankenkasse abgestimmt, viermal sagte sie Nein: 1994 mit 77 Prozent, 2002 mit 73 Prozent, 2007 mit 71 Prozent und 2014 mit 61,5 Prozent. Rechnet man die Ja-Quote in der gleichen Tendenz weiter, so müsste eigentlich im Jahre 2023 eine Zustimmung von knapp über 50 Prozent erreicht sein. Diese Annahme wird auch durch eine von der “Handelszeitung” im Mai 2017 durchgeführte Umfrage bestätigt, wonach sich 62 Prozent der Befragten sowohl für eine Deckelung der Prämien bei zehn Prozent des Haushaltseinkommens wie auch für eine Einführung einkommensabhängiger Prämien, 55 Prozent für eine Gratisversicherung für Kinder und nicht weniger als 67 Prozent für die Einführung einer Einheitskrankenkasse in der Grundversicherung ausgesprochen haben. Dass Umfragen und Abstimmungsergebnisse so weit auseinanderliegen, hat wohl damit zu tun, dass bei Abstimmungen in der Regel von den betroffenen Interessenverbänden so viel grobes Geschütz aufgefahren wird, dass Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ihren eigenen Interessen und Bedürfnissen geradezu zuwiderhandeln. Besonders eklatant zeigte sich dies bei der Abstimmung über die Vorlage “6 Wochen Ferien pro Jahr” im Jahre 2012, die von 66,5 Prozent der Stimmenden abgelehnt wurde. Im Falle der Abstimmungen über eine Einführung einer Einheitskrankenkasse ist dies sogar noch ganz besonders absurd, haben doch die Prämienzahlenden mit ihrem Geld genau jene Abstimmungskampagnen der Kassen finanziert, die dazu führen, dass am Ende die Prämien noch weiter steigern. Es ist eben offensichtlich doch so, wie es der deutsche Schriftsteller Bertolt Brecht dereinst sagte: “Die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.”

“Die Einführung einer Einheitskrankenkasse müsste heute neu diskutiert werden”, schreibt Alexander Däniken in der “Luzerner Zeitung” vom 20. Oktober 2022, “2014 scheiterte das Anliegen mit fast 62 Prozent Neinstimmen. Damals aber betrug eine Prämie für Erwachsene durchschnittlich 264 Franken, nächstes Jahr werden es 397 Franken sein.” Im Hinblick auf eine erneute Abstimmung dürfen wir also wohl aus gutem Grund optimistisch sein. Bei der Einführung des Frauenstimmrechts hatte es schliesslich auch nicht auf Anhieb geklappt. Und so wie wir uns heute eine Gesellschaft ohne gleichberechtigte Teilhabe der Frauen nicht mehr vorstellen können, so werden wir uns auch irgendwann ein Gesundheitswesen nicht mehr vorstellen können, in dem masslos Geld für Bürokratie, Werbekampagnen und Spitzenlöhne von Managern verpulvert wird, das am Ende denen, die es am dringendsten bräuchten, so schmerzhaft fehlt.