Weshalb die Zeit schon längst reif wäre für die Einführung einer Volkspension

 

Rentenalter, Kompensationszahlungen für alle Frauen, die zukünftig erst mit 65 Jahren in Pension gehen können, Steuererhöhungen und Sparmassnahmen, um die Finanzierung der AHV auch in Zukunft zu sichern: Die Altersvorsorge und ihre Finanzierung ist in sozialpolitischen Debatten zwischen linken und bürgerlichen Politikern und Politikerinnen seit Jahren ein Dauerthema und schlägt gerade jetzt, im Zusammenhang mit einer Erhöhung des Frauenrentenalters, höhere Wellen denn je. 

Doch müsste man nicht einmal ganz grundsätzlich innehalten? Wäre es nicht an der Zeit, das heutige verschachtelte und komplizierte Rentensystem mit erster, zweiter und dritter Säule über Bord zu werfen, ein System, das einmal mehr die Reichen belohnt und die Minderbemittelten benachteiligt? Niemand sollte doch im Alter zusätzlich dafür bestraft werden, dass er oder sie bereits ein Leben lang in Form von schlechten Arbeitsbedingungen, engen Wohnverhältnissen, niedrigem Lohn und unbezahlt geleisteter Care-Arbeit schon mehr als genug gelitten hat. Wenigstens in der letzten Phase des Lebens, im wohlverdienten Ruhestand, sollten die sozialen Ungleichheiten aufgehoben sein. 

Es gibt keinen einzigen plausiblen Grund dafür, dass der pensionierte Banker wochenlange Ferien auf Teneriffa geniessen kann, während sich die pensionierte Putzfrau, die jahrelang sein Büro auf Hochglanz getrimmt hat, nicht einmal ein Zugbillett für einen Ausflug nach Genf leisten kann. Besonders stossend ist diese Ungleichheit, wenn man bedenkt, dass Schlechterverdienende eine statistisch weitaus geringere Lebenserwartung haben und daher nicht nur monatlich, sondern über die gesamte Zeitspanne bis zu ihrem Tod viel geringere Rentenleistungen beziehen als jene, die ein Leben lang schon besser verdient haben und mit einer längeren Lebenszeit rechnen können. 

Wenn man sich das alles so überlegt, dann gibt es eigentlich nur eine einzige wirklich gerechte Lösung: eine existenzsichernde Volkspension mit gleicher Rente für alle, von der Putzfrau bis zum Banker. Damit wenigstens im Alter jene Klassengesellschaft aufgehoben wäre, die ins Leben so vieler Menschen lebenslang auf die eine oder andere Weise so schmerzliche Wunden schlägt. Eine zweite und eine dritte Säule bräuchte es dann nicht mehr – so könnte man sich auch zugleich erhebliche Verwaltungskosten ersparen und all die Bürokratie, das akribische Hin- und Herschieben von Geldern, das eifrige Bemühen, sich Vorteile auf Kosten anderer zu ergattern – all das wäre dann überflüssig. 

1972 lehnte das Schweizer Volk die Einführung einer Volkspension mit 79 Prozent der Stimmen ab. Das heisst nicht, dass das Anliegen falsch war. Es heisst nur, dass die Zeit dafür noch nicht reif war. Die Einführung des Frauenstimmrechts nach jahrzehntelangen Rückschlägen zeigt, wie sehr sich das öffentliche Bewusstsein im Laufe der Zeit tiefgreifend ändern kann. Wäre es nicht an der Zeit, auch in Sachen Volkspension einen neuen Anlauf zu wagen? Eine Abstimmung darüber würde wohl kaum an den Argumenten scheitern, sondern höchstens an den machtpolitischen Interessen all jener, die vom heutigen System auf Kosten anderer profitieren und nicht bereit sind, den Kuchen, den alle miteinander gebacken haben, auch möglichst gerecht wieder unter allen zu verteilen.