Wer versteht mehr von der Wirtschaft: Mattea Meyer und die bürgerlichen Besserwisser

Anlässlich der ausserordentlichen Session des Schweizer Parlaments im Mai brachte Mattea Meyer (SP) eine Motion ein, welche ein Dividendenverbot für all jene Firmen forderte, die Kurzarbeit beantragt hatten. Während der Nationalrat der Motion überraschenderweise zustimmte, scheiterte sie dann aber im Ständerat. Bürgerliche Männer warfen Mattea Meyer vor, “von Wirtschaft nichts zu verstehen.”

(Tages-Anzeiger, 16. Juni 2020)

Das beliebte Totschlagargument: Wer von der Sache nichts verstehe, dürfe sich dazu auch nicht äussern. Folgerichtig dürften dann also nur noch Ökonomen, Finanzspezialisten und Bankiers mitreden, wenn es um Wirtschaftsfragen geht, alle anderen hätten gefälligst zu schweigen, da sie ohnehin von der Sache nichts verstünden. Das wäre so ziemlich genau das Gegenteil von Demokratie. Denn Demokratie baut genau darauf auf, dass unterschiedlichste Sichtweisen und Aspekte in politische Prozesse – und damit letztlich auch in Wirtschaftsfragen – einfliessen. Gerade der Blick von aussen, von Menschen, die noch nicht durch und durch Bestandteil des bestehenden Systems sind und sich noch nicht an all dessen Widersprüche und Absurditäten gewöhnt haben, sind unerlässlich für den gesellschaftlichen – und damit letztlich auch wirtschaftlichen – Fortschritt. Es ist wie bei dem immer wieder zitierten Vergleich vom Wald und von den Bäumen: Wer voll und ganz ins bestehende Wirtschaftssystem eingebunden ist und dessen Logik und dessen Denkweisen ganz und gar verinnerlicht hat, sieht zwar die einzelnen Bäume, nicht aber mehr den gesamten Wald. Wer das Ganze hingegen aus einer gewissen Distanz anschaut, erkennt den Wald als Ganzes und kann auch dessen Widersprüche und Ungereimtheiten viel deutlicher erkennen. Und genau diese Sichtweise braucht es, damit sich Bestehendes verändern und Neuem, Besserem Platz machen kann. Denn wo wir hinkommen, wenn wir die Wirtschaft nur denen überlassen, die angeblich etwas davon verstehen, das wissen wir mittlerweile nur zur Genüge, wenn wir uns all die weltweit verheerenden sozialen und ökologischen Folgen eines Wirtschaftssystems vor Augen führen, das immer noch unbeirrt am Dogma eines unbegrenzten Wachstums festhält.