Weltklimakonferenz in Sharm al-Sheikh: Ohne Überwindung des Kapitalismus gibt es keine Überwindung der Klimakrise

 

Über Tausende von Kilometern sind sie aus allen Himmelsrichtungen herbeigeflogen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 27. Weltklimakonferenz in Sharm al-Sheikh. Und in alle Himmelsrichtungen werden sie bald auch schon wieder, unverrichteter Dinge, in alle Himmelsrichtungen auseinanderfliegen. Das Spektakulärste zwischen Anflug und Abflug war noch eine gigantische Lasershow an der Pyramide von Gizeh. Aber sonst? Klimapolitische Fortschritte? Oder gar ein Durchbruch? Alles Fehlanzeige. Eher das Gegenteil: die totale Ernüchterung, nichts, was auch nur im Entferntesten etwas zu tun haben könnte mit einem Durchbruch oder gar einem Neubeginn. Und dies trotz einer Begrüssungsrede von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, die eindringlicher nicht hätte sein können: “Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle”, sagte er, “und kämpfen den Kampf unseres Lebens – und sind dabei, ihn zu verlieren.” Eine Aussage, die mehr als begründet ist, wenn man sich die neuesten Zahlen anschaut, wonach die CO2-Emissionen weltweit im Jahre 2022 gegenüber 2017 um weitere 3,9 Prozent zugenommen haben, der höchsten Zunahme seit fünf Jahren. Doch eigentlich stand das Scheitern der Weltklimakonferenz schon fest, bevor sie noch begonnen hatte. Und dies ist nicht einmal besonders verwunderlich…

Denn das eigentliche Problem ist nicht der Klimawandel. Das eigentliche Problem ist der Kapitalismus. Er hat die Erde befallen wie eine schwere, tödliche Krankheit. Ein Wirtschaftssystem, dessen innerster Kern das Prinzip endlosen Wachstums ist und in dem die Arbeit der Menschen, die Bodenschätze und die Rohstoffe, die Erde und die Natur, das Wasser und die Luft einer unaufhörlich sich steigernden, sich in alle Richtungen ausdehnenden Profitmaximierung unterworfen werden, muss zwangsläufig in einen unlösbaren Konflikt mit den natürlichen Grenzen unseres Planeten gelangen, in eine tödliche Spirale, die nicht nur das Klima erfasst, sondern auch dazu führt, dass in der Gier nach dem schnellen Profit riesige Flächen von Tropenwäldern niedergebrannt, halbe Meere leergefischt und einst fruchtbarste Erde durch Monokulturen, Pestizide und Überdüngung unfruchtbar gemacht werden und gleichzeitig Bodenschätze und Rohstoffe in einer Art und Weise ausgebeutet werden, als wäre unsere Generation die letzte auf diesem Planeten. Ein Raubzug ohnegleichen, ein Krieg gegen die Erde, gegen die Natur und gegen jene rund 150 Tier- und Pflanzenarten, die Tag für Tag für immer aussterben. “Jeder, der glaubt, exponentielles Wachstum könne andauernd weitergehen in einer endlosen Welt”, sagte der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Kenneth E. Boulding, “ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom.” Und auch der britische Historiker Eric Hobsbawn sagte schon im Jahre 2009: “Entweder hören wir mit der Ideologie des grenzenlosen Wachstums auf oder es passiert eine schreckliche Katastrophe. Heute geht es um das Überleben der Menschheit.”

Der Kapitalismus, ein Monster, das drauf und dran ist, uns mit Haut und Haaren aufzufressen. Doch die Wahnidee endlosen Wachstums ist nur die eine Klaue des Monsters. Die andere ist die soziale Umverteilung, die Spaltung in Reich und Arm, in Profiteure und Opfer, in Ausbeuter und Ausgebeutete, sodass sich heute Millionen von Menschen, vor allem in den nördlichen Ländern, ein Leben in nie dagewesenem Luxus leisten können, während Hunderte von Millionen, vor allem in den südlichen Ländern, so wenig verdienen, dass sie sich nicht einmal eine einzige anständige Mahlzeit pro Tag leisten können. Auch dies steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Klimawandel. Wären nämlich alle Güter des täglichen Bedarfs, die Einkommen und die Vermögen weltweit gerecht verteilt, dann gäbe es nicht so viele Reiche, welche sich all jene Luxusvergnügungen vom Zweit- und Drittauto über die Segelyacht, dem Wohnwagen, dem Swimmingpool im eigenen Garten, dem Helikopterflug zum Gletscherskifahren bis zur Flugreise auf die Malediven und einer Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer oder in baldiger Zukunft vielleicht schon den Weltraumflug zum Mond leisten können, lauter Luxusvergnügungen, welche so hohe schädliche Emissionen zur Folge haben, dass, wenn sich sämtliche Erdbewohnerinnen und Erdbewohner so verhielten, unser Planet wohl jetzt schon unbewohnbar geworden wäre. Berechnungen der Entwicklungsorganisation Oxfam zufolge wird bis zum Jahr 2030 das reichste Prozent der Weltbevölkerung doppelt so viele Emissionen verursachen als die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit. “Eine kleine Elite”, so Oxfam-Klimaexpertin Nafkote Dabi, “gönnt sich einen Freifahrtschein für die Zerstörung unseres Klimas.”

Deshalb brauchen wir nicht weitere Weltklimakonferenzen, sie nützen sowieso nichts. Was wir brauchen, ist eine internationale Konferenz zur Überwindung des Kapitalismus. Daran sollten nicht nur Politikerinnen und Politiker teilnehmen, denn man darf die Politik nicht den Politikerinnen und Politikern überlassen, lassen sich Probleme doch, wie Albert Einstein sagte, “niemals mit der gleichen Denkweise lösen, durch welche sie entstanden sind”. An der Konferenz zur Überwindung des Kapitalismus müssten vor allem jene vertreten sein, die am meisten unter den verheerenden Auswirkungen des kapitalistischen Monsters leiden, Menschen aus den südlichen Ländern, Arbeiterinnen, Fischer, Bäuerinnen. Aber auch Kinder und Jugendliche aus aller Welt. Und Philosophen, Poetinnen, Künstler. Dies wäre eine zu grosse Aufgabe für sie alle? Nun gut, aber was wäre denn eine bessere Lösung? Dem Kapitalismus einfach das Feld überlassen, bis auch noch das letzte Tier und die letzte Pflanze und viel früher noch der letzte Mensch ausgestorben wäre? Die Alternative zum Kapitalismus ist doch gar nicht so etwas Kompliziertes. Im Gegenteil, es ist doch einfach das Leben. Soziale Gerechtigkeit, Frieden, Einklang zwischen Mensch und Natur und das gute Leben für alle. Wenn uns jemand einreden wollte, das wäre so schwierig und so kompliziert, dann könnte das nur jemand sein, der einen ganz egoistischen Nutzen davon hat, dass alles so bleibt, wie ist. Doch auch er müsste einsehen, dass es gar nicht mehr lange so weitergehen kann wie bisher. Und auch er müsste ein existenzielles Interesse daran haben, dass sich alles zutiefst verändert, bevor es definitiv zu spät ist. “Der Kapitalismus”, sagte der französische Philosoph Lucien Sève, “wird nicht von selbst zusammenbrechen, er hat noch die Kraft, uns alle mit in den Tod zu reissen, wie der lebensmüde Flugzeugpilot seine Passagiere. Wir müssen das Cockpit stürmen, um gemeinsam den Steuerknüppel herumzureissen.”