Was spricht gegen einen EU-Beitritt der Schweiz?

 

Je länger je mehr erweist sich das Rahmenabkommen als Kartoffel, die bei jedem Hin- und Herschieben zwischen der EU und der Schweiz immer noch heisser und ungeniessbarer wird. Wäre es nicht an der Zeit für einen grundsätzlichen Marschhalt? Wäre nicht der Zeitpunkt gekommen, um über einen EU-Beitritt der Schweiz noch einmal möglichst unvoreingenommen und vorurteilsfrei nachzudenken? Faktisch ist ja die Schweiz schon längst ein Teil Europas: Über 50 Prozent aller aus der Schweiz ausgeführten Waren gehen in EU-Mitgliedsländer, während die Schweiz gar drei Viertel aller importierten Waren aus der EU bezieht. Aber auch im Gesellschaftlichen, Kulturellen, in Technik, Wissenschaft, Bildung und Forschung sind die gegenseitigen Verflechtungen immens. Als vor rund 30 Jahren das Schweizer Volk – notabene nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,3 Prozent – einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum ablehnte, war die Welt noch eine andere. Damals glaubte man noch, jedes Land könne seine politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen für sich alleine bewältigen. Heute wissen wir, dass dies längst nicht mehr der Fall ist. Sicher, die Schweiz ist mit ihrem Alleingang bisher ganz gut gefahren, sonst gehörte sie wohl nicht zu den reichsten Ländern der Welt. Aber gut gefahren ist sie eben nur in einem ganz eigennützigen Sinn des Wortes: Sie hat es, nicht nur in Bezug auf Europa, sondern auch in Bezug auf alle anderen Länder, mit denen sie ihre Geschäfte treibt, meisterhaft verstanden, immer ein bisschen mehr zu nehmen als zu geben, ganz der akribische Buchhalter, der die Schweiz seit dem Aufkommen des Kapitalismus immer schon gewesen ist. Höchste Zeit für eine neue Perspektive: Die Schweiz als Mitglied der EU, endlich in der Rolle dessen, der nicht nur nimmt, sondern auch gibt. Und das nicht bloss wirtschaftlich. Mit ihrer kleinräumigen Basisdemokratie, ihrem reichen Kulturleben, ihrem Erfindergeist, ihren starken öffentlichen Institutionen und Infrastrukturen und der dualen Berufsbildung hat die Schweiz so viele Trümpfe in der Hand, dass es nachgerade verschwenderisch ist, diese nicht auch anderen zugute kommen zu lassen. Zwar behaupten einige, mit einem EU-Beitritt würde die Schweiz ihre Souveränität aufgeben. Tatsache ist, dass die Schweiz sowohl das basisdemokratische Instrument der Initiative wie auch jenes des Referendums beibehalten könnte. Andere behaupten, die Schweiz müsste ihre Neutralität aufgeben. Wie Österreich und Schweden zeigen, entspricht auch dies nicht den Tatsachen. Ebenso wenig wie die Behauptung, der Schweizer Franken würde im Falle eines EU-Beitritts durch den Euro ersetzt – Dänemark und Schweden beweisen das Gegenteil. Seltsamerweise ist die EU-Diskussion seit Jahren ein Tabu. Als hätte man eines Tages sämtlichen Befürworterinnen und Befürwortern eines EU-Beitritts den Mund zugeklebt und seither ist nichts mehr von ihnen zu hören. Wer hat eigentlich ein so grosses Interesse daran, dass man über ein so wichtiges Thema tödliches Stillschweigen bewahren muss? Man muss sich ja nicht gleich als Befürworter, als Befürworterin eines EU-Beitritts zu erkennen geben. Aber mindestens müsste man breit, öffentlich und ohne ideologische Scheuklappen darüber diskutieren dürfen. Das wäre doch unserer Demokratie, auf die wir angeblich allesamt so stolz sind, dringendst würdig.