Was Menschen aufgebaut haben, können Menschen auch wieder abbauen und durch etwas von Grund auf Neues ersetzen

Angela Merkel hatte den Kampf gegen den Klimawandel selbst als «Menschheitsaufgabe» beschrieben. Doch was am Freitag in Berlin vorgestellt wurde, fiel nach Ansicht von Beobachtern und Experten erschreckend kleinteilig und zaghaft aus. Zwar werden 50 Milliarden Euro ausgegeben – für mehr Elektroautos, bessere Heizungen und günstigeres Bahnfahren und vieles mehr. Doch es fehlen der grosse Wurf und der Wille, eine klimapolitische Wende tatsächlich umzusetzen. Im Mittelpunkt der Kritik steht die CO2-Steuer, die zwar kommen soll, aber mit 20 Euro pro Tonne so niedrig angesetzt ist, dass sie frühestens in zehn Jahren Wirkung zeigen wird.

(NZZ am Sonntag, 22. September 2019)

Von Anfang an haben zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten der Klimabewegung einen «Systemwechsel» gefordert, für den Fall nämlich, dass sich die notwendigen klimapolitischen Massnahmen im bestehenden Wirtschaftssystem nicht verwirklichen lassen – in weiser Voraussicht, dass der Kapitalismus und die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen letztlich unvereinbar sind. Wie die von der deutschen Regierung getroffenen «kleinteiligen» und «zaghaften» Massnahmen zeigen, haben diese radikalen Stimmen der ersten Stunde Recht bekommen. Und zweifellos wird auch der Uno-Umweltgipfel, der in diesen Tagen über die Bühne geht, ein ähnliches Bild zeigen. So wird ein «Systemwechsel» dringender denn je. Und wer, wenn nicht die Millionen Jugendlichen, die hier und heute auf die Strassen gehen, ist befugter, diesen Systemwechsel in Gang zu bringen. Eine Herausforderung historischen Ausmasses. Die Verstaatlichung der Privatwirtschaft und die Aufhebung des Konkurrenzprinzips als Grundantrieb für wirtschaftliche Entwicklung. Die Abschaffung aller Waffen und Armeen. Die Abschaffung der wundersamen Geldvermehrung durch Zins und Zinseszins. Ein Einheitslohn. Ein selektionsfreies Bildungssystem. Die Abschaffung des motorisierten Individualverkehrs. Dies nur einige von zahllosen möglichen Mosaiksteinen, welche in von der Klimajugend initiierten und geleiteten Zukunftswerkstätten diskutiert werden müssten. Dabei darf es keine Denkbarrieren geben, keine falschen Scheuklappen, keine Tabus. Wer die neue Zeit schaffen will, muss bereit sein, sich auf Ideen einzulassen, die im Moment noch jenseits aller Denkvorstellungen liegen. Es müsste gelingen. Denn genau so, wie der Kapitalismus von Menschen aufgebaut wurde, so kann er jederzeit auch wieder durch Menschen abgebaut und durch etwas von Grund auf Neues ersetzt werden…