Was der Klimawandel und die stetige Zunahme von arbeitsbedingten Burnouts miteinander zu tun haben…

 

Laut dem Job-Stress-Index der Schweiz von 2020 ist ein Drittel der Arbeitnehmenden am Arbeitsplatz einer Belastung ausgesetzt, die ihre Ressourcen übersteigt. Die Folge: eine immer höhere Anzahl von Burnouts. “Im Vergleich zu 2019”, so Michael Pfaff, Leiter einer Burnoutklinik, in der “Sonntagszeitung” vom 16. Mai 2022, “haben sich die Klinikeinweisungen aufgrund von Burnout seit 2019 um 40 Prozent erhöht. Nur ein Teil davon ist auf die Auswirkungen der Coronapandemie zurückzuführen: Bereits im Jahre 2018, so eine Untersuchung der “Gesundheitsförderung Schweiz”, litten fast 30 Prozent der Schweizer Erwerbsbevölkerung unter emotionaler Erschöpfung. “Burnout”, so Michal Pfaff, “ist ein Lebensstil, bei dem ich auf Dauer mehr Energie abgebe, als ich wieder zu mir führe.” Seltsam. Denn eigentlich müsste es ja umgekehrt sein: Im Laufe vieler Jahrzehnte sind Infrastrukturen – Fabriken, Wohnhäuser, Strassen, Verkehrssysteme – aufgebaut worden, von denen wir heute alle profitieren. Dazu kommt eine Riesenerfahrung in allen Produktions-, Dienstleistungs- und Arbeitsbereichen, die dazu dienen könnten, Arbeit in Zukunft so zu gestalten, dass mit einem kleineren Aufwand dennoch eine genug grosse Leistung erzielt werden könnte. Schliesslich die Digitalisierung, Automatisierung und Technisierung, dank der heute viele Tätigkeiten, die früher in mühsamer eigenhändiger Kleinarbeit bewältigt werden mussten, an Maschinen delegiert werden können. Eigentlich spräche alles dafür, dass wir es uns endlich etwas gemütlicher machen und uns endlich auf den Lorbeeren vergangener Zeiten ein wenig ausruhen könnten. Doch absurderweise ist genau das Gegenteil der Fall: Das herrschende kapitalistische Wirtschaftssystem, das darauf ausgerichtet ist, aus jedem Rohstoff, jeder Ware, jeder Dienstleistung, jeder Handreichung den stets grösstmöglichen Profit herauszuquetschen, lässt dies nicht zu. Und so kommen die, welches dieses System antreiben und gleichzeitig von ihm angetrieben werden, auf immer verrücktere Ideen, wie die Arbeitsabläufe und das Wachstum der Warenwelt in immer noch weitere Höhen hinaufgetrieben werden können. In blinder Profitgier hat dieses Wirtschaftswachstum das heilige Prinzip, wonach Geben und Nehmen stets in gegenseitigem Gleichgewicht stehen sollten, auf fahrlässigste Weise ausgehebelt. Wenn der Leiter einer Burnoutklinik davon spricht, Burnout sei ein “Lebensstil, bei dem ich auf Dauer mehr Energie abgebe, als ich wieder zu mir führe”, dann ist das exakt der gleiche Vorgang von Ausbeutung, den wir im grossen Stil in der Weise erleben, dass die Schweiz insgesamt pro Jahr drei Mal so viele Ressourcen verbraucht, als die Erde in diesem Zeitraum wieder nachwachsen lässt. Es ist das gleiche Grundmuster: So wie Menschen an ihrem Arbeitsplatz Belastungen ausgesetzt sind, welche ihre natürlichen Ressourcen masslos überfordern, genau so geht es der Erde, dem Wasser, der Luft, den Pflanzen und den Tieren in einer Welt, deren offensichtlich höchstes Ziel es ist, noch den letzten Flecken Erde in Gold zu verwandeln. Egal, von welcher Seite wir herkommen, egal, wo wir beginnen: beim Klimawandel, dem Hunger, den gesundheitlichen Belastungen durch menschenfeindliche Arbeitsverhältnisse, dem Sterben von Tieren und Pflanzen – alles ist eine Folge des Wirtschaftssystems, in dem wir gefangen sind. Stecken wir die stressgeplagten Menschen in Burnoutkliniken, so ist das nichts mehr als reine Symptombekämpfung – der Mensch wird dem System angepasst statt das System den Menschen. Echter Fortschritt kann nicht darin bestehen, möglichst viele Burnoutkliniken zu bauen und möglichst viele Therapeutinnen und Therapeuten auszubilden. Echter Fortschritt müsste darin bestehen, ein Wirtschaftssystem aufzubauen, in dem Menschen nicht mehr gezwungen sind, ständig über ihre Erschöpfungsgrenze hinaus zu arbeiten, und in dem die Schätze der Natur nur so weit genutzt werden, wie auf natürliche Weise wieder nachwachsen kann – alles im Gleichgewicht. Und so sind die wachsende Anzahl von Burnouts und das wachsende Leiden der Natur nicht nur besorgniserregende Belastungen, zugleich sind sie auch, richtig verstanden, Mahnzeichen dafür, dass sich grundsätzlich, und nicht nur an der Oberfläche, etwas ändern muss. Irgendwo nämlich treffen sich die vielen einzelnen “Kipppunkte”, die vielen einzelnen Warnzeichen, die vielen einzelnen roten Signale zu einem einzigen grossen Wendepunkt. Das ist nicht nur Anlass zu Sorge. Es ist, wie die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer so überzeugend formulierte, vor allem auch ein riesiges Zeichen von Hoffnung:
“Wir
malen sie uns aus und wir wissen, dass wir sie erleben werden: Die Zukunft,
von der wir träumen. Das ist die Magie gesellschaftlicher Kipppunkte – wir
wissen nicht genau, wann wir sie erreichen, aber wir wissen, dass sie
kommen.”