Vom Sternchen bis zum Glottisschlag: Kritische Anmerkungen zur Gendersprache

Gendersprache: Ein heikles Thema. Ein schwieriges Feld von gegenseitigen Schuldzuweisungen, Verhärtungen, Feindbildern und der Tendenz, in die eine oder andere Ecke gedrängt oder in die eine oder andere Schublade eingeordnet zu werden. Ein Wespennest. Wenn ich im Folgenden dazu einige kritische Anmerkungen äussere, dann im vollen Bewusstsein, dass die Diskussion über eine angemessene, möglichst geschlechterneutrale Sprache noch in vollem Gange ist und vielleicht das eigentliche “Ei des Kolumbus” noch nicht wirklich gefunden worden ist. Ein Lernprozess voller “Fehler”, Versuche und Irrtümer, aus denen stets wieder neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Was nicht heissen soll, dass dieser Prozess unnötig oder überflüssig wäre, im Gegenteil: Die Diskussion ist wichtig, ja unverzichtbar. Nur sollte sie nicht in einer Atmosphäre gegenseitiger Rechthaberei bis hin zu Intoleranz oder gerade Fundamentalismus geführt werden, sondern eher mit einer gewissen spielerischen Leichtigkeit, Heiterkeit und Neugierde auf stets unerwartete Überraschungen, ganz so, wie auch Kinder mit der Sprache spielen, wenn sie diese in ihren ersten Lebensjahren, stets auch durch Versuch und Irrtum, erlernen. In diesem Sinne verstehe ich folgende Thesen als Beiträge zu einer Diskussion, die unbedingt kontrovers geführt werden muss. Jede These kann wieder zu einer Gegenthese führen, daraus entsteht im besten Falle etwas Neues, nur so kommen wir weiter.

These 1: Künstliche Zeichen wie Gendersternchen, Doppelpunkte, Binnen-I oder Glottisschlag geben dem Thema mehr Gewicht, als es eigentlich verdient. Wenn ich ein Buch aufschlage und mir schon dutzendfach Gendersternchen entgegenspringen, oder wenn ich einem Vortrag zuhöre, bei dem der Glottisschlag konsequent angewendet wird, dann wird damit, optisch oder akustisch speziell hervorgehoben, das Bild einer Gesellschaft vermittelt, die vor allem dadurch geprägt ist, dass es unterschiedliche Geschlechtszugehörigkeiten gibt. Dass es aber nebst Diskriminierungen aufgrund der Geschlechterzugehörigkeit noch zahlreiche andere, gesellschaftlich mindestens so relevante Formen von Diskriminierungen und Macht- oder Abhängigkeitsverhältnissen gibt – aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht, aufgrund der beruflichen Tätigkeit, aufgrund eines vorhandenen oder fehlenden Bildungsabschlusses, aufgrund der ethnischen Herkunft oder aufgrund des Alters – verschwindet dabei vollkommen aus dem Blickfeld.

These 2: Mit der gleichgewichtigen Verwendung männlicher und weiblicher Personenbezeichnungen haben wir doch eigentlich schon eine sehr gute Lösung gefunden. Die Praxis, nicht mehr von “Künstlern” zu sprechen, sondern von “Künstlerinnen und Künstlern”, hat sich erfreulicherweise innerhalb relativ kurzer Zeit weitgehend durchgesetzt. Selbst eben noch hartnäckige Verfechter einer rein männlichen Sprache – ich denke da etwa an gewisse SVP-Politiker – verwenden heute in politischen Diskussionen ganz selbstverständlich beide Bezeichnungen, so als hätten sie nie etwas anderes getan. Der grosse Vorteil dieser Variante liegt auch darin, dass sie sowohl im mündlichen wie auch im schriftlichen Gebrauch gleichermassen funktioniert, dies im Gegensatz etwa zum Binnen-I oder anderen Variationen. Bei Aufzählungen von mehreren Personengruppen bietet sich ja auch, um Schwerfälligkeiten zu vermeiden, die Lösung an, abwechslungsweise männliche und weibliche Bezeichnungen zu verwenden, also zum Beispiel: “An diesem Projekt beteiligten sich Sozialarbeiter, Künstlerinnen, Politiker und Rentnerinnen.” Die Verwendung beider Geschlechtsbezeichnungen hat übrigens eine längere Tradition, als uns zumeist bewusst ist. So etwa ist in einer Nürnberger Polizeiverordnung aus dem Jahre 1478 von “Bürgern und Bürgerinnen”, dem “Gast und der Gästin” die Rede.

These 3: Das “dritte Geschlecht” bzw. “nonbinäre” Personen werden dadurch nicht ausgeschlossen. Dies ist wahrscheinlich der heikelste und schwierigste Punkt. Aber sind “drittes Geschlecht” oder “nonbinäre” Geschlechtszugehörigkeit nicht letztlich auch Spielformen und Variationen “weiblicher” und “männlicher” Elemente? Ist das “dritte Geschlecht” etwas, was mit Weiblichem und Männlichem rein gar nichts zu tun hat, ein “Neutrum” sozusagen? Gibt es nicht auch bei “hundertprozentigen” Männern viele mit mehr oder weniger starken “weiblichen” Wesenszügen, wie das Umgekehrte eben auch bei Frauen vorkommt? Kann man die Menschen überhaupt fixen Kategorien zuordnen, oder gibt es nicht viel mehr fliessende Übergänge zwischen ihnen, eine unendliche Vielzahl von Spielformen der Natur? Und wäre es dann nicht so, dass sich alle von ihnen, wenn man männliche und weibliche Bezeichnungen nennt, mitgemeint fühlen können? So betrachtet, wäre wahrscheinlich das Sternchen die einzige wirklich konsequente Lösung, wenn man dann alle anderen bisherigen Bezeichnungen einfach weglassen würde, nur wäre das in der Praxis kaum umsetzbar.

These 4: Sprachliche Neuerungen müssen auch gesellschaftlich umsetzbar sein. Auch dies zugegebenermassen ein heikler Punkt. Aber was nützt es, noch so “gerechte” Lösungen zu erfinden, wenn sie dann so exotisch daherkommen, dass sie von einer grossen Mehrheit der Bevölkerung gar nicht akzeptiert werden? Ich kann mir vorstellen, dass sich die gleichwertige Verwendung männlicher und weiblicher Personenbezeichnungen früher oder später flächendeckend durchsetzen wird – wir sind schon auf dem besten Weg dazu -, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Bauarbeiter in der Znünipause, wenn sie über ihre Freundinnen und Kollegen sprechen, jemals den Glottisschlag verwenden werden. Zu ausgefallene Forderungen können auch das Gegenteil bewirken. So gibt es bereits heute Menschen, die sich über die Diskussionen rund um die “Gendersprache” dermassen aufregen, dass sie aus Prinzip nur noch männliche Formen verwenden. Und das kann ja wohl nicht das Ziel sein.

These 5: Man kann die Verwendung stets beider Geschlechtsbezeichnungen, wenn man sie zu sehr auf die Spitze treibt, auch übertreiben und bewirkt damit dann eher das Gegenteil. So habe ich kürzlich in einem “modernen” Geschichtsbuch gelesen, “spanische Konquistadoren und Konquistadorinnen” hätten zwischen 1500 und 1600 ganz Lateinamerika erobert, und in einem Zeitungsartikel war von weltweit “2640 Milliardärinnen und Milliardären” die Rede, obwohl es vermutlich keine einzige Konquistadorin gab und 99 Prozent der weltweiten Milliardäre Männer sind. So “übereifriges” Gendern ist dann sogar in höchstem Grade geschichts- und realitätsverfälschend und verschleiert letztlich ausgerechnet jene – patriarchalen – Machtverhältnisse, die ja angeblich sichtbar gemacht und bekämpft werden sollen.

These 6: Sprachliche Änderungen allein genügen nicht, um gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass zum Beispiel die ungarische und die türkische Sprache keine grammatischen Mittel für einen Geschlechtsunterschied kennen, in diesen Ländern aber die Frauen kein bisschen weniger benachteiligt sind als in anderen Ländern. Wenn nicht mehr von “Kellnerinnen”, sondern nur noch von “Serviceangestellten” die Rede ist, so ändert auch dies alleine noch nichts an der Tatsache, dass die betroffenen Frauen weiterhin unter harten Arbeitsbedingungen und fehlender gesellschaftlicher Wertschätzung bei gleichzeitig überaus geringem Lohn zu leiden haben. Es fragt sich schon, ob man die ganze Zeit und die ganze Energie, die für “Sprachdiskussionen” aufgewendet werden, nicht viel gescheiter für reale gesellschaftspolitische Veränderungen aufbringen würde.

These 7: Rechthaberei und Moralisieren sind keine guten Instrumente, um notwendige gesellschaftliche Veränderungen in Gang zu bringen. Um nicht missverstanden zu werden: Die Diskussionen rund um die “Gendersprache” sind wertvoll und unverzichtbar. Wenn sie aber in reines Moralisieren, Intoleranz oder gar in Formen von Fundamentalismus ausarten, werden sie eher das Gegenteil von dem bewirken, was sie ursprünglich bezweckten. Auch die Toleranz ist ein Wert, dem wir Sorge tragen müssen.