Vom Skirennsport bis zu den Fleischfabriken: Tödliches Konkurrenzprinzip

 

Skirennfahrer und Skirennfahrerinnen: Sie rasen im Höllentempo gefährlichste Pisten hinunter, vor der Kälte und vor Stürzen nur durch einen hauchdünnen Rennanzug geschützt, ohne Unterwäsche, weil diese das Fahrtempo vermindern und der Konkurrenz den Vorteil von ein paar wenigen, doch entscheidenden Tausendstelsekunden verschaffen könnte, festgeschnallt auf Skiern mit immer schärfer geschliffenen Kanten, die bei Stürzen im Tempo von hundert und mehr Stundenkilometern schwerste Schnittverletzungen verursachen können, und auch dies nur mit dem einzigen Ziel, ein paar Tausendstelsekunden früher im Ziel zu sein als ihre Konkurrentinnen und Konkurrenten. Kunstturnerinnen und Gymnastinnen: Sie werden gezwungen, ihren Körpern das Allerletzte abzuverlangen, zehn Stunden am Tag, im gnadenlosen Training am Barren, am Reck, auf dem Boden. Statt gelobt werden sie angeschrien, manchmal verweigert man ihnen, damit sie möglichst dünn bleiben, sogar das Essen und das Trinken, nicht selten müssen sie selbst dann noch weitertrainieren, wenn der Körper vor lauter Schmerzen fast zerbricht oder bereits von einer Verletzung betroffen ist, und dies alles nur, um an den nächsten Weltmeisterschaften der Konkurrenz eine Nasenlänge voraus zu sein. Die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Fleischfabriken: Unerbittlich ist das Tempo, in dem gearbeitet wird, Schlag um Schlag, Messer um Messer, bis die Hände, die Arme und die Rücken fast auseinanderbrechen, Arbeiter um Arbeiterin dicht aneinandergedrängt, wie Teile einer riesigen Maschine, härteste Arbeit bei geringstem Lohn, und auch das alles nur, damit das solchermassen produzierte Fleisch um ein paar Cents billiger ist als jenes der Konkurrenz und dadurch einen höheren Gewinn abwirft, von dem sie, die Arbeiter und Arbeiterinnen, freilich nie etwas sehen werden. Die Kinder und Jugendlichen in den Schulen: Auch sie, ängstlich und oft voller Selbstzweifel, angetrieben zu Höchstleistungen, manchmal bis in die Nacht hinein und unter Tränen, all die Verzweiflung, wenn das alles einfach zu gross und zu schwer geworden bist, und auch dies alles nur, um in der entscheidenden Prüfung nur auf keinen Fall zu versagen und, wenn irgend möglich, die Mitschülerinnen und Mitschüler um ein paar Zehntelspunkte zu übertrumpfen. Ob im Skirennsport oder im Training der Kunstturnerinnen, ob in den Fleischfabriken oder den Schulen – und das sind nur vier von unzähligen weiteren Beispielen, die hier aufgezählt werden könnten -: Das Konkurrenzprinzip zwingt die Menschen dazu, gegeneinander statt miteinander und füreinander zu arbeiten. Je schärfer die Kante des einen Skirennfahrers ist, umso mehr zwingt er seine Konkurrenten dazu, ihre Kanten noch schärfer zu schleifen, ungeachtet der damit verbundenen Verletzungsgefahr. Je härter die Kunstturnerinnen des einen Landes trainieren, um so härter müssen die Kunstturnerinnen aller anderen Länder trainieren, nur um ja nicht ins Hintertreffen zu geraten. Je schneller die Arbeiterinnen und Arbeiter in der einen Fleischfabrik arbeiten, umso mehr zwingen sie sämtliche Arbeiterinnen und Arbeiter in allen anderen Fleischfabriken dazu, noch härter zu arbeiten, bloss um auf dem “freien” Markt von Angebot und Nachfrage nicht ins Hintertreffen zu geraten. Und auch die Kinder und Jugendlichen in den Schulen: Je fleissiger das eine Kind lernt, je mehr Stunden es bis tief in die Nacht über seinen Büchern sitzt, je mehr es auf bisherige Freizeitbeschäftigungen verzichtet, umso mehr zwingt es seine Mitschüler und Mitschülerinnen dazu, es ihm gleich zu tun, denn wer möchte schon zu den Versagern und Verlieren gehören. Dem Konkurrenzprinzip ist eine geradezu zynische Logik eigen. Es zwingt die Beteiligten in einen permanenten gegenseitigen Überlebenskampf, bei dem der Glaube aufrechterhalten wird, alle könnten erfolgreich sein, wenn sie sich nur genug anstrengten. Tatsächlich aber beruht das Konkurrenzprinzip darauf, dass immer nur einer der Beste sein kann und alle anderen mehr oder weniger auf der Strecke bleiben, selbst wenn sie sich noch so viel Mühe gäben. Besonders krass zeigt sich das beim Skirennsport: Es wird niemand bestreiten, dass auch die Skirennfahrerin, die “nur” auf dem zwanzigsten Rang gelandet ist, immer noch eine unmenschliche Leistung vollbracht hat, bloss ist sie halt ein paar Hundertstelsekunden langsamer gewesen als die Beste. Und noch in einem zweiten Punkt ist das Konkurrenzprinzip in sich selber höchst widersprüchlich. Es kennt nämlich keine Grenze nach oben. Die Kanten der Skis können immer noch um ein paar Millimeter schärfer geschliffen und die Skirennzüge können immer noch ein wenig dünner gemacht werden, bis vielleicht eines Tages die Fahrerinnen und Fahrer splitternackt zu Tale rasen. Die Übungen, welche die Kunstturnerinnen zeigen, können immer noch ein wenig schwieriger gestaltet werden, bis zu dem Punkt, da die Körper es gerade noch ganz knapp aushalten, bevor sie auseinanderbrechen. Das Arbeitstempo in der Fleischfabrik kann immer noch ein ganz klein wenig erhöht und die Arbeitsabläufe können immer noch ein klein wenig optimiert werden, so lange nicht die körperlichen Leiden der Arbeiterinnen und Arbeiter ein so hohes Mass erreicht haben, dass die Gesundheitskosten den Nutzen aus der geleisteten Arbeit übersteigen. Und den Kindern und Jugendlichen in den Schulen kann ohne klare Grenze nach oben ein immer höheres Lernpensum aufgebürdet wurden, auch wenn das mit dem realen Leben der Kinder und den tatsächlichen Anforderungen der Arbeitswelt schon längst nichts mehr zu tun hat. Aus der Spirale des zerstörerischen und in letzter Konsequenz tödlichen Konkurrenzprinzips können wir uns nur befreien, wenn Wirtschaft und Arbeitswelt, Kultur, Bildung und Gesellschaft auf eine neue Basis gestellt werden, auf die Basis des Miteinander anstelle des Gegeneinander, auf die Basis der Kooperation anstelle der gegenseitigen Konkurrenzierung. So etwas Verrücktes wie Skirennen gäbe es dann wahrscheinlich nicht mehr. Ebenso wenig wie Weltmeisterschaften im Kunstturnen. Sportliche Aktivitäten würden überall und jederzeit so angelegt, dass die sie Menschen nicht krankmachen und ihnen Verletzungen zufügen, sondern dass sie ihrem Wohlergehen und ihrer Gesundheit dienen. Fleischfabriken wie auch alle anderen industriellen Betriebe wären vertraglich miteinander verknüpft, so dass Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten einheitlich geregelt wären und stets die Gesundheit und das Wohlergehen der arbeitenden Menschen Vorrang hätten vor allem anderen. Und in den Schulen würde man endlich damit aufhören, die Kinder miteinander zu vergleichen und einem gegenseitigen Wettkampf auszusetzen. Jedes Kind ist einzigartig, einmalig, hat Begabungen und Talente, welche kein anderes Kind hat, sein Lernen soll stets seinem Wohlergehen und seiner körperlichen und seelischen Gesundheit zugutekommen. Eine neue Welt, die nicht mehr vom selbstzerstörerischen gegenseitigen Konkurrenzprinzip beherrscht wird: nicht mehr eine Treppe, die gegen oben immer schmaler wird und auf der die meisten früher oder später auf der Strecke bleiben. Auch nicht ein Karussell, das sich immer schneller dreht und alle, die sich nicht mehr festhalten können, nach und nach fortschleudert. Sondern ein Garten oder eine Werkstatt, in der Platz ist für alle, die gleichberechtigt dort leben und arbeiten und in der das Wohlergehen des Ganzen zugleich das Wohlergehen jedes Einzelnen ist.