Umstrittenes elektronisches Patientendossier…

 

“Mehr als die Hälfte der Spitäler foutieren sich um das elektronische Patientendossier (EPD), obwohl es vorgeschrieben ist”, stellt das “Tagblatt” am 10. Juli 2023 fest. Schon befasst sich der Bundesrat mit der Idee, für renitente Spitäler Bussen einzuführen, zudem will er künftig auch Arztpraxen und Apotheken zum EPD verpflichten. Und für alle Personen in der Schweiz soll kostenlos ein Patientendossier eröffnet werden, sofern sie nicht Widerspruch einlegen.

Doch sind die Bedenken und Widerstände gegen die Einführung eines EPD nicht allzu verständlich? Erstens sei es, wie Yvonne Gilli, Präsidentin der Ärztevereinigung FMH sagt, “in der jetzigen Form wenig nutzbringend”. Zweitens verschlingt seine Einführung, wie der Spitalverband H+ kritisiert, “exorbitante Geldsummen” – finanzielle Mittel, die man wohl viel nutzbringender in höhere Löhne für das Pflegepersonal und damit in eine tatsächliche Qualitätssteigerung des Gesundheitssystems investieren würde. Drittens ist die technische Anbindung höchst kompliziert, weil die einzelnen Spitäler unterschiedliche Systeme benutzen – was wiederum zu einem immensen, kostspieligen administrativen Aufwand führen muss. Viertens kann es leicht zu einer Überforderung vieler Patientinnen und Patienten kommen, vor allem all jener, die sich heute schon im Dickicht behördlicher Formulare, Abrechnungen etc. kaum zurechtfinden: Patientinnen und Patienten müssen den Antrag auf ein EPD selber stellen und sich sodann für einen der zahlreichen Anbieter entscheiden, ohne hierfür über zuverlässige, neutrale Kriterien zu verfügen. Fünftens ergibt sich für die Hausärztinnen und Hausärzte ein immenser, kaum abschätzbarer Zeitaufwand, um die vorhandenen Gesundheitsdaten der einzelnen Patientinnen und Patienten in das neue System zu übertragen. Sechstens entsteht mit dem EPD ein digitales Mammutgebilde, das auch entsprechend anfällig ist für technische Pannen oder Hackerangriffe, wie Beispiele der SBB, der Swisscom oder von Banken in jüngster Vergangenheit immer wieder gezeigt haben. Was, wenn das System genau in dem Moment ausfällt, wenn für eine heikle Operation auf die Daten der betroffenen Patientin, des betroffenen Patienten zurückgegriffen werden müsste?

Hand aufs Herz. Ich ziehe es vor, meine gesammelten Gesundheitsdaten in der Hand meiner Hausärztin zu wissen statt irgendwo in einem Rechenzentrum in der Wüste von Nevada. Menschen sind ja nicht primär Ersatzteillager auf einem globalen Warenmarkt. Gesundheit hat vor allem auch eine eminent psychische, zwischenmenschliche und soziale Komponente. Die Forderung, dass jeder Mensch einen Hausarzt bzw. eine Hausärztin haben müsste, bei der man sich nicht nur medizinisch, sondern auch psychisch aufgehoben fühlt und die ihre Patientinnen und Patienten nicht nur in Bezug auf ihre Gesundheitsdaten, sondern auch in Bezug auf ihre Lebensgeschichte und ihre sozialen Lebensverhältnisse kennt, wäre wohl um einiges vordringlicher als die Forderung nach einer möglichst lückenlosen Ansammlung von Daten im digitalen Raum. Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch menschlich und gesellschaftlich sinnvoll. Oder, wie es Yvonne Gilli sagt: “Ein EPD in der heute vorhandenen Ausgestaltung erhöht weder die Patientensicherheit noch ist es für die Ärzteschaft nutzenbringend.”