Ukrainekonflikt: Stimmen der Vernunft gibt es überall, man müsste nur auf sie hören…

 

Die “Budapester Zeitung” schreibt am 7. April 2023: “Aus der moralischen und völkerrechtlichen Perspektive liegt die Schuld und Täterschaft des Ukrainekriegs allein bei Russland. Aus Sicht des geopolitischen Realismus hat jedoch der Westen durch die Infragestellung der russischen Selbstbehauptungsfähigkeit den Angriffskrieg von Russland provoziert und schwere Mitschuld in der Vorgeschichte des Kriegs aufs sich geladen.” Dem Krieg sei ein fast zwanzigjähriger Konflikt vorausgegangen, in dem es dem Westen unter Führung der USA darum gegangen sei, die Ukraine in die westliche Einflusssphäre zu integrieren. Damit sei jene “rote Linie” überschritten worden, die zum russischen Angriffskrieg geführt hätte. Die Hauptmotive für den russischen Angriffskrieg hätten in der Angst Russlands vor einer zunehmenden Einkreisung durch die Nato mit verkürzten Vorwarnzeiten aus der Ostukraine auf Moskau bestanden. Es sei auch kein Geheimnis, dass die Maidan-Revolution anfangs 2014 dem Sturz der demokratisch gewählten, dem Westen gegenüber aber zu wenig freundlichen ukrainischen Regierung geführt hätte. Schliesslich weist die “Budapester Zeitung” darauf hin, dass die Ukraine, obwohl sie dem Westen als Teil der “freien Welt” gelte, im Grunde eine Oligarchie sei, in Sachen Korruption im Bereich der meisten afrikanischen Länder. Auch entspreche die Behandlung der russischen und ungarischen Bevölkerungsminderheit und das Verbot sämtlicher Oppositionsparteien bei Kriegsausbruch nicht dem Minderheitenschutz einer rechtsstaatlichen Demokratie. Nur durch einen neutralen Status der Ukraine könne der Konflikt gelöst werden, denn “in diesem Land treffen westeuropäisch und osteuropäisch geprägte Kulturen unmittelbar aufeinander.”

Es muss schon nachdenklich stimmen, wenn eine westliche Zeitung und nicht irgendein russisches Propagandaorgan eine Meinung vertritt, die so sehr von der offiziellen Sichtweise des Westens abweicht. Nehmen das all jene westlichen Befürworter eines harten, unnachgiebigen Kurses gegen Russland nicht zur Kenntnis? Dass sie es nicht wissen, kann nicht sein, man findet, wenn man nur ein klein wenig sucht und nur ein klein wenig unvoreingenommen an die Sache herangeht, an allen Ecken und Enden Hinweise und Belege dafür, dass die “Schuld” an diesem Krieg nicht zur Gänze einzig und allein Russland in die Schuhe geschoben werden kann. Wer dennoch nichts davon wissen will und die Augen vor all dem verschliesst, was die eigene Sicht der Dinge ins Wanken bringen könnte, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht schlicht und einfach Angst haben könnte vor der Wahrheit.

Wenn Russland der Bär ist, dann haben ihn seine westlichen Widersacher so lange gereizt, bis er sich eines Tages aufgebäumt und losgeschlagen hat. Wer ist nun der “Böse”? Der Bär oder derjenige, der ihn provoziert hat? Die Antwort liegt wohl auf der Hand: Es sind beide. Und jede einseitige Schuldzuweisung, egal von welcher Seite, führt nur dazu, dass ein Frieden in immer weitere Ferne rückt. “Russland ist der Täter, der Westen der Verursacher” – so lautet die Überschrift über dem zitierten Artikel in der “Budapester Zeitung”. Was für eine weise Einsicht! Nichts ist in der heute so aufgeladenen, kriegerischen Stimmung so wichtig wie Stimmen, die sich entschieden zwischen die Fronten stellen. Erst die Bereitschaft, die eigene Mitschuld einzugestehen, kann der Schlüssel sein, um aus diesem gegenseitigen Zerstörungskampf, in dem jede Seite unbeirrt auf ihrem Recht beharrt, auszubrechen. Zumindest Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der heute die Ukraine besucht und bei dieser Gelegenheit einen zukünftigen Beitritt der Ukraine zur Nato in Aussicht gestellt hat, scheint die “Budapester Zeitung” vom 7. April 2023 nicht gelesen zu haben…