Ukraine: Ein Apartheidregime mitten in Europa – und alle schauen weg…

 

Am 16. Juli 2019 trat in der Ukraine, wie die deutsche “Tageszeitung” berichtete, ein neues Sprachengesetz in Kraft. Demzufolge muss die ukrainische Sprache im Fernsehen und in Kinofilmen, in Buchverlagen sowie im Tourismus und bei Stadtführungen benützt werden. Überregionale Zeitungen dürfen nur noch in ukrainischer Sprache erscheinen. Beamte und Kandidatinnen für Staatsämter, der Premierminister, die Parlamentsvorsitzende und ihre Stellvertreter, Minister, Leiterinnen aller zentralen Behörden, Rechtsanwältinnen und Notare, Ärzte, das Management von staatlichen und kommunalen Unternehmen, Lehrerinnen, Militärs, Sportlerinnen, Künstler und Personen, welche die Staatsbürgerschaft erwerben möchten – sie alle müssen fliessend Ukrainisch sprechen können, wenn nicht, bleibt ihnen der Zugang zu allen diesen Ämtern und Funktionen verwehrt. Besonders hart betroffen sind Künstlerinnen und Wissenschaftler, deren Tätigkeitsfelder durch das Sprachengesetz stark eingeschränkt werden. Zudem dürfen öffentliche Reden nur auf Ukrainisch gehalten werden. In Geschäften, Supermärkten, Apotheken, Banken und Restaurants müssen die Mitarbeitenden auf Ukrainisch antworten, wenn sie auf Ukrainisch angesprochen werden. Verstösse gegen das Sprachengesetz werden, je nach der Schwere des “Vergehens” mit kleineren oder grösseren Geldbussen geahndet. Wer einen politischen Versuch unternimmt, in der Ukraine eine offizielle Mehrsprachigkeit einzuführen, dem droht eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. “Die ukrainische Sprache”, so Wolodymir Selenski, “ist die einzige Staatssprache in der Ukraine. So war es, so ist es und so wird es bleiben.” Dabei geht es nicht nur um die Alltagssprache, betroffen sind auch die Musik und die Literatur: Ab sofort dürfen Werke russischer Komponisten und Komponistinnen nicht mehr öffentlich aufgeführt werden. Auch der Import und die Verbreitung von Büchern und anderen Printmedien aus Russland, Belarus und den russisch besetzten Gebieten sind seit anfangs 2022 komplett verboten. Mehr als 100 Millionen Bücher wurden aus den öffentlichen Bibliotheken der Ukraine entfernt, unter anderem Leo Tolstois mehrfach verfilmtes Meisterwerk “Krieg und Frieden”, aber auch Kinderbücher, Liebes- und Kriminalromane.

Von alledem ist ist den westlichen Mainstreammedien kaum je etwas zu hören. Selbstverständlich kann die Unterdrückung der russischen Sprache und Kultur in der Ukraine längst nicht den Einmarsch russischer Truppen rechtfertigen, doch der Umgang des ukrainischen Staates mit seiner russischsprachigen Minderheit von immerhin 30 Prozent der Bevölkerung relativiert doch ganz erheblich das Bild jenes vorbildlichen, demokratischen Musterknaben, welches im Westen so gerne verbreitet wird. Im Gegenteil sieht man sich nachgerade in Zustände zur Zeit der Sowjetunion versetzt, nur dass es dazumal genau umgekehrt war: 70 Jahre lang galt das Russische als alleinige Amtssprache in der Ukraine, die Regierung, Schulen und Unternehmungen waren verpflichtet, ausschliesslich die russische Sprache zu verwenden. Doch kann man ein Unrecht mit einem anderen gutmachen? Soll die Ukraine Ungerechtigkeiten vergangener Zeiten blindlings wiederholen, bloss mit umgekehrten Vorzeichen? Der Angriff auf Sprache und Kultur einer Minderheit der Bevölkerung, die Spaltung der Menschen in eine erste und eine zweite Klasse mit unterschiedlichen Rechten sowie unterschiedlichen beruflichen und politischen Aufstiegsmöglichkeiten, dies alles ist doch ein unverzeihlicher, durch nichts zu rechtfertigender Angriff auf Millionen von Menschen und ihren legitimen Anspruch auf Gleichberechtigung, ein Angriff auf ihr ureigenes Selbstverständnis, auf ihre Identität und auf ihre kulturellen Wurzeln. Denn, wie es der deutsche Schriftsteller und Historiker Felix Dahn sagte: “Des Volkes Seele lebt in seiner Sprache.” 

Man stelle sich vor: Das schweizerische Parlament würde beschliessen, Deutsch als einzige Amtssprache schweizweit durchzusetzen. Politikerinnen und Politiker, Lehrerinnen und Ärzte in der Westschweiz und im Tessin dürften nur noch Deutsch sprechen. Alle literarischen Werke französisch- und italienischsprachiger Autorinnen und Autoren würden aus den Bibliotheken entfernt. Alle kantonalen Gesetze müssten ins Deutsche übertragen werden. Sämtliche Zeitungen würden nur noch in deutscher Sprache erscheinen, am Radio und Fernsehen würde nur noch Deutsch gesprochen… 

Wir erinnern uns an den weltweiten Aufschrei und die Wirtschaftssanktionen gegen das Apartheidregime der südafrikanischen Regierung in den Neunzigerjahren. Weshalb hüllt sich die gleiche westliche Welt angesichts der heutigen Apartheidpolitik der Ukraine in so gänzlich unbegreifliches Schweigen? Vielleicht, weil es das Bild von der “guten” Ukraine und dem “bösen” Russland zu sehr stören würde?