Ukraine: Eigentlich wäre Frieden so viel einfacher als Krieg…

 

Melnyk, der ukrainische Botschafter in Deutschland, sagt: “Alle Russen sind unsere Feinde.” Gleichzeitig schlagen sich Gegner und Befürworter von Aufrüstung, von Waffenlieferungen und schärferen Sanktionen in den verschiedenen europäischen Ländern gegenseitig erbittert ihre Argumente an den Kopf. Wer nur ansatzweise zu bedenken gibt, auch der Westen trage am Krieg in der Ukraine eine Mitschuld, wird sogleich als “Putinversteher” beschimpft und blossgestellt. In den sozialen Medien wird gröbstes verbales Geschütz aufgefahren, um missliebige Kommentare ins Lächerliche zu ziehen und den Verfasser oder die Verfasserin des einen oder anderen Artikels schon mal als “Mörder” oder “Verbrecher” zu verunglimpfen. Ja, es ist Krieg und wir sind alle schon mittendrin. Dieser Krieg findet nicht nur in Odessa, Tschernihiw und Mariupol statt. Er hat sich auch in unsere Köpfe hineingefressen, in unsere Zeitungsspalten, in die Bilder am Fernsehen, in die Kommentare der sozialen Medien. Wo sind die Stimmen, die alledem Einhalt gebieten könnten? Die Stimmen, die dem Krieg das Einzige entgegenstellen würden, was ihn zu bezwingen vermag: die Freundschaft, die Gewaltlosigkeit, den Frieden, die Liebe. Im Getöse immer lauter werdender Kriegstreiberei scheint ganz vergessen zu gehen, dass es sie trotz allem immer noch gibt, voller Sehnsucht, aber schon fast ganz an den Rand gedrängt, eine winzige Blume, an der wir achtlos vorbeigehen. Vor rund vier Wochen haben der Dalai Lama und weitere 15 Friedensnobelpreisträgerinnen und Friedensnobelpreisträger zu einem Friedensappell aufgerufen, der inzwischen schon von über einer Million Menschen unterzeichnet worden ist, von Chile bis Japan, von Nigeria bis Russland, von der Ukraine bis nach Schweden. Weshalb hat noch keine einzige Zeitung darüber berichtet, weshalb wird es in keiner einzigen Nachrichtensendung am Fernsehen erwähnt? Ist uns der Krieg so viel wichtiger als der Frieden? Ein weiterer Friedensappell stammt von Hunderten ukrainischer und russischer Ärztinnen und Ärzte, ihr Logo besteht aus einer ukrainischen und einer russischen Hand, die ineinander greifen, ein wunderbares Bild, das so etwas wie der Schlüssel sein könnte zu dieser Zeit, da der Krieg zu Ende sein wird. Überall, wo es Hass und Gewalt gibt, da gibt es auch die Liebe. Wir müssen sie nur sehen. Ich bin fast ganz sicher, dass es auch in Butscha, wo wochenlang heftigst gekämpft wurde, irgendeinen jungen russischen Soldaten gab, der für ein kleines Mädchen eine Blume pflückte und fürchterliche Angst davor hatte, andere, ihm fremde Menschen töten zu müssen oder von ihnen getötet zu werden, sodass er sich hinter einer Mauer versteckte, um seiner Todesangst und all dem Grauenhaften aus dem Weg zu gehen. Nur wird dieser junge russische Soldat niemals eine Schlagzeile Wert sein, niemand wird von ihm erzählen, niemand wird sich an ihn erinnern und keine Fernsehreportage wird jemals über ihn berichten. “Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe”, singen die deutschen “Ärzte” in einem ihrer berühmtesten Lieder. Tatsächlich: Was wir heute brauchen, ist nicht ein Mehr an Waffen und Krieg, sondern ein Mehr an Freundschaft, an Gewaltlosigkeit und Liebe, um diesen innersten, millionenfach verschütteten Kern, diese unendliche Sehnsucht nach Frieden, die in jedem Menschen verborgen liegt, wieder ans Tageslicht zu bringen. “Das 21. Jahrhundert”, schrieb der Dalai Lama in einem 2018 erschienen Buch, wird das Jahrhundert des Friedens sein oder aber das Ende der Menschheit bringen.” Vor wenigen Wochen sagte ein Schweizer Kulturhaus ein geplantes Konzert mit der russischen Cellistin Anastasia Kobekina kurzfristig ab. Nicht wegen Corona, nicht weil sich zu wenige Besucherinnen und Besucher angemeldet hatten, nicht weil die Künstlerin krank geworden wäre, sondern einzig und allein deshalb, weil sie eine Russin ist, und dies, obwohl sie den Krieg gegen die Ukraine unmissverständlich verurteilt hatte. Aber das Wichtige kommt erst jetzt: Es erhob sich weitherum ein Sturm der Entrüstung. Ein anderer Konzertveranstalter sprang ein und organisierte einen Auftritt Kobekinas gemeinsam mit einem ukrainischen Geiger, gespielt wurden sowohl russische wie auch ukrainische Werke. Es wäre doch so einfach…