Ukraine: Der Weg in die Hölle ist immer mit guten Vorsätzen gepflastert

 

18. Mai 2022. Russland und die Ukraine haben weitere Verhandlungen im Ukraine-Konflikt ausgesetzt. Wie das ZDF berichtet, sei der Grund dafür vor allem die Haltung der Ukraine, keine Friedenslösung ohne den Abzug russischer Truppen aus der Ostukraine zu akzeptieren. Eine Haltung, die auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar scheint: Russland hat fremdes Territorium überfallen und sollte kein Anrecht darauf haben, dieses dauerhaft zu besetzen. Doch auf den zweiten Blick stellt sich die Frage, was denn die Alternative dazu ist. Russland wird nicht kampflos seine Truppen aus der Ostukraine zurückziehen, ein weiterer monatelanger Krieg ist vorprogrammiert und wird ausgerechnet all jene Gebiete, welche sowohl die Ukraine wie auch Russland angeblich “befreien” wollen, auf Jahre hinaus zerstören und all die Menschen, die man “befreien” möchte, entweder töten oder ihnen körperliche und seelische Wunden zufügen, unter denen sie lebenslang leiden werden. Zudem wächst mit jedem Meter, den ukrainische Truppen vorrücken, die Gefahr eines dritten Weltkriegs als Verzweiflungstat Putins, der im schlimmsten Fall zum Einsatz von Atomwaffen greifen könnte. “Wenn wir den dritten Weltkrieg verhindern wollen”, sagt Erich Vad, früherer deutscher Brigadegeneral und militärpolitischer Berater von Angela Merkel, “müssen wir früher oder später aus dieser militärischen Eskalationslogik raus und Verhandlungen aufnehmen. Im Moment herrscht zu viel Kriegsrhetorik. Aber der Weg in die Hölle ist bekanntlich immer mit guten Vorsätzen gepflastert. Wir müssen den laufenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine vom Ende her denken.” Ja, was wäre denn so schlimm daran, wenn man die Menschen in der Ostukraine über ihre eigene politische Zugehörigkeit selber bestimmen lassen würde? Weshalb nicht eine Volksabstimmung, in der sich die betroffenen Gebiete demokratisch für eine Zugehörigkeit zur Ukraine, zu Russland oder zur Bildung einer unabhängigen, eigenständigen Republik aussprechen könnten? Beide Seiten würden das Risiko eingehen, beherrschtes oder erobertes Gebiet zu “verlieren” – dieser Verlust aber wäre gleichzeitig ein Gewinn für die betroffenen Menschen, denen damit das höchste Gut – der Frieden – geschenkt wäre. Schon der römische Philosoph Cicero sagte: “Jeder noch so brüchige Frieden ist doch immer noch besser als der gerechteste Krieg.” Doch noch sind die territorialen Grenzen offensichtlich heilig. Noch empfinden es Staaten als unerträgliche Schmach, “eigene” Territorien an andere Staaten abtreten zu müssen. Aber was war denn 1991? Damals, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, mutete man ja der ehemaligen Sowjetunion auch zu, 15 ehemalige Teilrepubliken und damit fast einen Viertel des früheren Territoriums auf einen Schlag zu verlieren. Ist es denn für einen Menschen das Wichtigste, in welchem Staat er lebt, welches seine Hauptstadt, seines Landesflagge und seine Nationalhymne sind? Oder ist es nicht viel wichtiger, dass er ein gutes Leben hat, genug zu essen, eine anständige Unterkunft, eine berufliche Beschäftigung, von der er leben kann, gesundheitliche Versorgung, Bildung und Kultur? Dies alles, so versuchen uns die ukrainischen Wortführer eines “unbegrenzten” Krieges weiszumachen, wäre eben in einer von Russland beherrschte Ostukraine gar nicht möglich. Folgt man ihren Argumenten, dann wäre eine solche von Russland beherrschte Ostukraine nichts anderes als die reinste “Hölle”, eine riesige “Folterkammer”, ein allumfassendes “Gefängnis”. Doch wenn dem tatsächlich so wäre, dann müsste ja heute schon ganz Russland eine “Hölle”, eine “Folterkammer” oder ein “Gefängnis” sein – jedes Kind weiss, dass das nicht stimmt. Die Hölle ist für die Menschen in der Ostukraine nicht Wirklichkeit geworden, wenn sie sich territorial Russland anschliessen würden – sie ist hier und jetzt schon die Hölle, solange dieser sinnlose, von keiner Seite zu gewinnende Krieg andauert. In der Parabel des “Kaukasischen Kreidekreises” streiten sich eine reiche Gutsbesitzerin und ihre Magd um ein Kind, von dem jede der beiden Frauen behauptet, die wahre Mutter zu sein. Eines Tages erscheinen sie vor dem höchsten Richter. In der Mitte eines Kreises steht das Kind, jede der beiden Frauen hält es an einer Hand. Welcher der beiden es gelingen würde, das Kind aus dem Kreis auf ihre Seite zu ziehen, diese sollte sich als die wahre Mutter erweisen. Doch die Magd bringt es nicht übers Herz, das Kind auf ihre Seite ziehen zu wollen, würde dies doch dazu führen, das Kind in der Mitte zu zerreissen. Also lässt sie es los. Zu ihrer grossen Verwunderung wird ihr dann aber das Kind vom Richter zugesprochen – weil sie mit ihrer Tat die wahre Liebe zum Kind und damit die wahre Mutterschaft an den Tag gelegt hatte. Vielleicht täte es den Kriegstreibern und Scharfmachern von hüben und drüben gut, wenigstens für einen Tag ihre Waffen schweigen zu lassen, die Geschichte des Kaukasischen Kreidekreises zu lesen und nur wenigstens einen halben Tag lang darüber nachzudenken, was für unermessliches Leiden sie mit ihrem Starrsinn, ihrer Herrschaftsgläubigkeit und ihrer “heldenhaften” Unnachgiebigkeit Tag um Tag anrichten…