Sparmassnahmen in Neukölln: Wohin das Geld, das früher offensichtlich in genügendem Masse vorhanden war, plötzlich verschwunden ist…

 

Wie die “Berliner Zeitung” vom 28. Juni 2023 berichtet, hat der Bezirk Berlin-Neukölln drastische Sparmassnahmen beschlossen. Nach der Zuweisung durch den Senat fehlen dem Bezirksamt Neukölln für die Haushaltsjahre 2024/25 pro Jahr 22,8 Millionen Euro, um den Status Quo zu halten. Folgende Sparmassnahmen sind vorgesehen: Der Wachschutz an zwölf Neuköllner Schulen entfällt; die Tagesreinigung an den Neuköllner Schulen wird aufgehoben; die Obdachlosenhilfe wird reduziert; die aufsuchende Suchthilfe wird gestrichen; Wasserspielplätze werden geschlossen; kaputte Spielgeräte auf Spielplätzen werden nicht mehr repariert; die Müllentsorgung in Grünanlagen wird halbiert; drei Jugendfreizeitzentren und Familieneinrichtungen werden geschlossen; Jugendreisen für besonders betroffene Jugendliche werden nicht mehr finanziert; der Alt-Rixdorfer Weihnachtsmarkt fällt weg; freie Stellen im Bezirksamt werden temporär nicht mehr nachbesetzt. “Die Finanzplanungen des Senats”, so Bezirksbürgermeister Martin Hikel von der SPD, “werden auf viele Jahre die soziale Infrastruktur in Neukölln zerstören.” Auch viele andere Kommunen in Deutschland sind überschuldet und müssen deshalb Schwimmbäder, Bibliotheken und Theater schliessen, Schulen warten auf dringende Renovierungen, in Kitas, Schulen, Krankenhäusern und Pflegeheimen herrscht massiver Personalmangel.

Schon erstaunlich, dass die Empörung in der betroffenen Bevölkerung zwar riesig ist, aber dennoch niemand fragt, wohin denn all das Geld, das früher für alle diese staatlichen Leistungen offensichtlich in genügender Menge vorhanden war, denn nun plötzlich verschwunden ist. So selten die Frage gestellt wird, so einfach wäre die Antwort: Das früher vorhandene Geld ist schlicht und einfach nach und nach aus den Taschen der Armen in die Taschen der Reichen geflossen, aus dem öffentlichen in den privaten Raum. So gehört heute dem reichsten Prozent der Bevölkerung, das entspricht etwa 840’000 Personen, etwas mehr als ein Drittel aller Vermögen, die wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte besitzen zusammen etwa 60 Prozent des Gesamtvermögens. 20 Prozent der Haushalte besitzen gar kein Vermögen, etwa neun Prozent sind verschuldet. 2022 gab es in Deutschland 1,63 Millionen Millionäre, 6,4 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Gemäss der Hans-Bröcker-Stiftung sind in fast keinem anderen Land die Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. Und so wird auch der soziale Graben immer tiefer und die Mauern der sozialen Apartheid werden immer dicker, zwischen denen, die sich bis zum Tiefseetauchen im privaten U-Boot über den Helikopterflug zum Skifahren auf den letzten kanadischen Gletschern und der Luxusreise mit einem Kreuzfahrtschiff immer verrücktere Vergnügungen leisten können, während die anderen schon froh sein müssen, wenn sie am Ende des Monats wenigstens noch eine einzige anständige Mahlzeit auf dem Tisch haben.

Geld wächst bekanntlich nicht auf Bäumen, es fällt auch nicht vom Himmel und man findet es auch nicht in irgendwelchen Muscheln tief auf dem Meeresgrund. Wenn es sich am einen Ort so gigantisch anhäuft, dann muss es an allen anderen Ecken und Enden umso schmerzlicher fehlen. Alle diese Millionen und Milliarden in den Händen der Reichen und Superreichen wurden dem Volk und dem öffentlichen Raum auf die eine oder andere Weise “geklaut”, auf scheinbar “legale” Weise, etwa dadurch, dass über Generationen angehäufte Reichtümer auf die nächste Generation übertragen werden, ohne dass diese dafür eine entsprechende Arbeitsleistung erbringen müsste. Oder dadurch, dass Millionen von Beschäftigen für ihre Arbeit weit weniger Lohn erhalten, als ihre Arbeit eigentlich wert wäre, um auf diese Weise die Löhne der Besserverdienenden zu subventionieren und den Unternehmen grösstmögliche Profite zu ermöglichen, die in Form von Dividenden wiederum in den Taschen der Reichen landen, ohne dass diese hierfür einen Finger krumm machen müssen. Oder dadurch, dass es nebst Dividenden, Finanzgeschäften, Einnahmen aus dem Besitz von Immobilien, Spekulation und dem Handel mit Rohstoffen noch viele andere verschlungene Formen von Kapitalbeteiligungen gibt, die alle darauf hinauslaufen, dass insgesamt nicht jene reich werden, die besonders viel und hart arbeiten, sondern ausgerechnet jene, die sowieso schon zu viel besitzen. “Geld”, sagte der CDU-Politiker Heiner Geissler, “ist vorhanden wie Dreck, nur befindet es sich in den falschen Händen.” Und seit die Vermögenssteuer in Deutschland im Jahre 1997 abgeschafft wurde, besteht nicht einmal mehr die Möglichkeit, zumindest einen kleinen Teil all dieses geklauten Geldes wieder in die Hände der arbeitenden Bevölkerung, in die Sicherung der Sozialwerke und in die soziale und kulturelle Infrastruktur des öffentlichen Raumes zurückzuholen.

Wir bilden uns ein, von politischen Parteien regiert zu werden. Tatsächlich aber werden wir vom Kapitalismus regiert. Und solange nicht der Kapitalismus als herrschendes Wirtschafts-, Gesellschafts- und Denksystem überwunden wird, solange werden auch die zunehmende Schere zwischen Arm und Reich, die unaufhörliche Umverteilung von unten nach oben, von der Arbeit zum Kapital und aus dem öffentlichen in den privaten Raum nicht beendet werden können. Wie viele kaputtgesparte Schulen, wie viele Schliessungen von Schwimmbädern, Theatern, Kultur- und Jugendzentren, wie viele soziale Sparprogramme wird es noch brauchen, bis eine Mehrheit der Bevölkerung dies erkennen und daraus die folgerichtigen Schlüsse ziehen wird?