Selenski in London und Brüssel, “Flügel für die Freiheit” und immer noch kein Ende der Tragödie in Sicht…

 

“Überraschungsbesuch” von Selenski in London – so der “Tagesanzeiger” am 9. Februar 2023. Und weiter: “Mit mehr Ehren hätten die Briten den ukrainischen Präsidenten nicht überhäufen können. An der Downing Street wurde der beste aller roten Teppiche ausgerollt. Drinnen in der Regierungszentrale wurde Selenski, was sonst völlig unüblich ist, mit begeistertem Applaus empfangen. Und im Parlament, wo er seine Ansprache hielt, brach ebenfalls mächtiger Beifall aus, als er auftrat. Und was ebenfalls höchst ungewöhnlich ist: Premierminister Sunak fuhr persönlich mit Selenski vom Flughafen Stansted nach London.” Dementsprechend überschwänglich auch die Beteuerung Sunaks, man werde die Ukraine solange unterstützen, bis sie einen “entscheidenden Sieg gegen die russischen Aggressoren” erringe und Putin mit seinem Krieg “gescheitert” sei. Zudem werde man zusätzliche Langstreckenwaffen liefern und mehr als doppelt so viele ukrainische Soldaten als bisher ausbilden – darunter auch Piloten und Marinesoldaten. Und so bedankte sich auch gleich schon Selenski zum Vornherein für die zukünftige Lieferung von Kampfflugzeugen, welche er als “Flügel für die Freiheit” bezeichnete, eine Aussage, für die er wiederum begeisterten Beifall erhielt. Das gleiche Bild einen Tag später, beim Auftritt Selenskis vor dem EU-Parlament in Brüssel. In seiner Rede rief Selenski alle Bürgerinnen und Bürger der EU zum gemeinsamen Kampf gegen Russland auf. “Nur unser unweigerlicher Sieg”, sagte er, “kann die gemeinsamen europäischen Werte wahren”. Und auch hier wieder minutenlanger Applaus, ehe sowohl die ukrainische wie auch die Europahymne gespielt wurden und die EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola an der Seite Selenskis sagte, nun sei es an den europäischen Staaten, als nächsten Schritt rasch “weitreichende Systeme und Flugzeuge” bereitzustellen.

Haben die alle miteinander eigentlich den Verstand verloren? Merken die wirklich nicht mehr, dass jeder einzelne dieser Schritte, welche sie planen, ein Schritt hin zu einem möglichen Weltkrieg sein könnte? Die allgemeine Euphorie für immer mehr Waffen, immer mehr Krieg und das Hochstilisieren der Ukraine zu jener angeblichen Bastion, an der sich der finale Kampf zwischen dem “Guten” und dem “Bösen” entscheiden werde, erinnert unweigerlich an eine Sekte, in der jeder so denkt wie alle anderen, aber nicht so sehr, weil er davon wirklich überzeugt wäre, sondern einfach deshalb, weil alle anderen auch so denken. Eine Sekte voller Einmütigkeit und voller Rituale, vom besten aller roten Teppiche über innigste gegenseitige Umarmungen bis zu einer Sprache, die mit allen Mitteln der Redekunst das Denken der Menschen in die gewünschten Bahnen bewegt. Eine Sekte, in der es kein kritisches und abweichendes Verhalten mehr gibt, sonst hätte nämlich schon längst jemand die Frage stellen müssen, wie denn die hehren Ziele von Demokratie und Freiheit mit all jenen Beschlüssen der ukrainischen Regierung vereinbar sind, welche unter anderem zum Verbot zahlreicher Parteien, Zeitungen und Fernsehstationen geführt hat, zur Eliminierung der russischen Sprache im öffentlichen Raum, zur Entfernung sämtlicher Werke russischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus den öffentlichen Bibliotheken sowie zum Verbot von Konzerten mit Werken russischer Komponistinnen und Komponisten, ganz abgesehen davon, dass die Ukraine als korruptestes Land von ganz Europa gilt.

Dass blindwütige Kriegseuphorie nicht der einzige Weg sein muss, hat, wie die “Berliner Zeitung” am 6. Februar berichtete, der israelische Premier Naftali Bennett bewiesen, als er anfangs März 2022 Verhandlungen mit Selenski, Putin, Biden, Scholz und Macron führte und dabei erstaunliche Fortschritte erzielte: Putin erklärte sich unter anderem bereit, auf sein ursprüngliches Kriegsziel einer Demilitarisierung der Ukraine zu verzichten, und Selenski seinerseits erklärte sich zu einem Verzicht auf einen Nato-Beitritt bereit. Doch, wie Bennett berichtet, hätten insbesondere die USA und Grossbritannien auf einen Abbruch der Verhandlungen gedrängt und auf eine Fortsetzung des Kriegs gesetzt. Man stelle sich einmal vor, wie viele Menschenleben hätten gerettet werden können, wie viele Häuser heute noch bewohnbar wären und wie friedlich das Leben in den heute umkämpften Gebieten wäre, wenn dieser Friedensschluss damals zustande gekommen wäre. “Wir haben”, so der UNO-Nothilfekoordinator Martin Griffiths, “vor der toxischen Mischung aus Tod, Zerstörung, Vertreibung und Verlust gewarnt, die dieser Krieg verursacht. Wir haben über das psychologische Trauma gesprochen, das er hinterlässt. Wir haben verurteilt, welchen tödlichen Preis er von der Zivilbevölkerung fordert. Und trotzdem entfaltet sich die Tragödie weiter, ohne ein Ende in Sicht.”

Doch für den Frieden ist es nie zu spät. Auch heute noch, hier und jetzt, können Friedensverhandlungen beginnen. Das Beispiel von Deutschland, das ganz zu Beginn des Krieges nur ein paar tausend Helme liefern wollte und jetzt schon bei Kampfpanzern angelangt ist und möglicherweise schon bald selbst vor der Lieferung von Kampfflugzeugen nicht mehr zurückschrecken wird, zeigt auf drastische Weise, in welche Richtung sich Eskalation und Kriegslogik, sofern man sich ihr nicht mit aller Entschiedenheit entgegenstellt, bewegen. Es wird oft behauptet, die Idee eines Waffenstillstands, einer Friedenslösung und eines Endes des Kriegs wären naiv oder, wie Olaf Scholz einmal sagte, “aus der Zeit gefallen”. Das wirklich Naive und gänzlich “aus der Zeit Gefallene” aber ist die Idee, mit kriegerischen Mitteln einen Konflikt zwischen verfeindeten Ländern oder Völkern lösen zu können. Denn, wie schon der frühere US-Präsident John F. Kennedy sagte: “Entweder setzt die Menschheit dem Krieg ein Ende, oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende.”