Schwindendes Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik: Hintergründe und offene Fragen…

 

“Diejenigen, die zu klug sind, um sich in der Politik zu engagieren, werden dadurch bestraft, dass sie von Leuten regiert werden, die dümmer sind als sie selber.” Dies sagte nicht irgendein Wutbürger im Jahre 2022, sondern der griechische Philosoph Platon vor über 2000 Jahren. Können wir diese Aussage auf die heutige Zeit übertragen? Im ersten Moment sagt alles in uns: Nein, es sind ja die Bürgerinnen und Bürger, die mit dem Wahlzettel an der Urne darüber entscheiden, dass die intelligentesten und fähigsten Politikerinnen und Politiker an die Macht gelangen. Zumindest in einer Demokratie ist das so. Und davon sprechen wir hier. Und doch: Betrachtet man das Ganze aus einer etwas grösseren Distanz, gewinnen die Worte von Platon, obwohl sie über 2000 Jahre alt sind, eine überraschende Aktualität. Denn in Anbetracht der Zeitumstände, der wachsenden sozialen Ungleichheit, der weltweit kriegerischen Konflikte und insbesondere der drohenden Klimakatastrophe verhalten sich unsere Politikerinnen und Politiker tatsächlich nicht besonders intelligent: Statt die herrschenden Probleme und Bedrohungen an der Wurzel anzupacken, werfen sie immer noch mit den gleichen Worthülsen um sich wie eh und je, bewegen sich beinahe ungebrochen im kapitalistischen Denksystem und scheinen dem Vorhaben, möglichst lange an der Macht zu bleiben, weit stärker zugeneigt zu sein als der Idee, die herrschenden Verhältnisse von Grund auf zu verändern. Gleichzeitig hört und liest man, in Bezug auf Politikerinnen und Politiker, von ausschweifenden Partys und Hochzeitsfeiern und nimmt staunend zur Kenntnis, dass dieser oder jener Politiker, obwohl er den gleichen Weg auch zu Fuss oder per Fahrrad bewältigen könnte, auch für kürzeste Strecken mit einer auf Hochglanz polierten, sündhaft teuren Staatskarosse chauffiert oder gar im Flugzeug oder Helikopter zu einem Sitzungsort gebracht wird, der sich ebenso bequem mit der Eisenbahn erreichen liesse – ganz zu schweigen von Joe Bidens Air Force One, einem Flugzeug, das, wie die “NZZ” schreibt, “alles kann” und das “berühmteste und geheimnisvollste Flugzeug der Welt” ist. Ja, je länger wir es uns überlegen, umso stichhaltiger und nach wie vor höchst aktuell ist die Aussage von Platon. In einem ganz übergreifenden Sinne, nämlich in Bezug auf das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten, verhalten sich unsere Politikerinnen und Politiker tatsächlich “dumm”. Selbst Ameisen, Eichhörnchen und Elefanten, die alles tun, um das Überleben ihrer Nachfahren zu sichern, verhalten sich intelligenter. Kein Wunder, verlieren die Menschen immer mehr das Vertrauen in die Politik: Laut dem Standard Eurobarometer der Europäischen Kommission hatten Ende 2021 nur gerade 36 Prozent der deutschen Bevölkerung Vertrauen in die politischen Parteien, 58 Prozent vertrauen den Parteien nicht. Wie die Friedrich Ebert Stiftung in einer Studie feststellte, ist vor allem jener Teil der Bevölkerung, der am meisten von sozialer Ungleichheit betroffen ist, mit den Politikerinnen und Politikern unzufrieden. Und das ist nicht nur in Deutschland so: Aus einem Bericht des Centre for the Future of Democracy an der Universität Cambridge aus dem Jahre 2020 geht hervor, dass insbesondere bei den 18- bis 34Jährigen die Zufriedenheit mit der Demokratie in fast allen Regionen der Welt stark abnimmt. “Dies”, sagt Roberto Foa, Hauptautor dieses Berichts, “ist die erste Generation seit Menschengedenken, die weltweit mehrheitlich unzufrieden damit ist, wie die Demokratie funktioniert.” Nun könnte man einwenden, nicht nur Politikerinnen und Politiker seien “dumm”, sondern ebenso die Menschen, welche diese wählen. Nicht nur, weil sie offensichtlich die “falschen” Politiker und Politikerinnen wählen, sondern vor allem auch deshalb, weil sie sich selber durch ihre tägliche Lebensweise in Bezug auf aktuelle und zukünftige Bedrohungen auch nicht gerade besonders vorbildlich verhalten und in verantwortungsloser Weise Ressourcen verschwenden, die dadurch kommenden Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Dennoch darf man wohl an die Professionalität gewählter Politikerinnen und Politiker zu Recht einen besonders hohen Massstab legen und von ihnen erwarten, dass sie in vorbildlicher Weise vorausschauend, umsichtig und verantwortungsbewusst handeln. Der Bäcker hat genug damit zu tun, von früh bis spät Brot zu backen. Die alleinerziehende Mutter hat alle Hände voll zu tun, sowohl ihrer Erwerbsarbeit wie auch der Betreuung ihrer Kinder gerecht zu werden. Der Politiker, die Politikerin dagegen hat alle Zeit – und erst noch eine überdurchschnittliche Entschädigung -, um der Aufgabe gerecht zu werden, sich für die Sicherung eines guten Lebens für alle heute und in Zukunft zu engagieren. Doch genau dies ist der Knackpunkt: Zu vielen Politikerinnen und Politikern scheint es nicht so sehr um das Wohl der Menschen zu gehen als um ihre eigene Machtposition. Verfolgt man öffentliche politische Debatten, so ist es meistens ein Schlagabtausch zwischen Exponentinnen und Exponenten der einen Partei gegen die anderen, von denen jede und jeder alles daran setzt, Recht zu behalten, das eigene Tun in den Himmel zu loben und das Tun der anderen möglichst schlecht zu reden. Jedes Wort scheint schon darauf ausgerichtet zu sein, möglichst viele Punkte zu sammeln für die nächsten Wahlen. Von einem ernsthaften Bemühen, miteinander und nicht gegeneinander Probleme zu lösen, sind solche Debatten meist meilenweit entfernt. Machtgier und Idealismus – zwei Dinge, die sich gegenseitig auszuschliessen scheinen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz oder der schweizerische Bundesparlamentarier Fabian Molina – das sind nur drei Beispiele von Politikern, die in ihrer Jugendzeit alle einmal glühende Verfechter einer Überwindung der herrschenden kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gewesen waren. Darauf angesprochen, wollen sie heute, selber im Zentrum der Macht angekommen, nichts mehr davon wissen. Ganz so wie die deutschen Grünen, die sich unlängst noch als Antikriegspartei verstanden haben und nun an vorderster Front mit Waffenlieferungen an die Ukraine diesen Krieg zusätzlich befeuern. So bleiben genau jene Ideen und Visionen, die angesichts der heutigen Weltprobleme dringender nötig wären denn ja, auf der Strecke, geopfert einem Machtsystem, in dem die Politik kaum mehr ein Gegengewicht zu jenen Finanz- und Wirtschaftsmächten bildet, welche unsere Welt buchstäblich an die Wand zu fahren drohen, sondern selber zu einem Machtsystem im grossen Machtsystem geworden ist und eine grundlegende Erneuerung wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Denkens in weite Ferne gerückt ist. So gesehen handelt es sich bei unserer sogenannten “Demokratie” in Tat und Wahrheit um eine Scheindemokratie, denn keine einzige all jener Parteien, die heute in irgendeinem europäischen Land an der Macht sind, stellt die Prinzipien des kapitalistischen Wirtschaftsmodells grundsätzlich in Frage. Was nichts anderes bedeutet, als dass die scheinbar unterschiedlichen politischen Parteien tatsächlich nichts anderes sind als einzelne Fraktionen einer grossen kapitalistischen Einheitspartei. Doch sollte uns nichts davon abhalten, daran zu glauben, dass die Intelligenz allem zum Trotz eines Tages stärker sein wird als die Macht der Mächtigen. Gerade in dunklen Zeiten sollte diese Hoffnung nicht verloren gehen. Denn, wie ein weiteres Zitat von Platon sagt: “Besonders nachts ist es schön, ans Licht zu glauben.”