Schweizerische Bundesratswahlen: Ein mehrheitlich bürgerliches Parlament wählt die deutlich linkere von zwei sozialdemokratischen Kandidatinnen – ein kleines Wunder ist geschehen…

 

In ihren jungen Jahren engagierte sie sich in der “Revolutionären Marxistischen Liga”. In einem Interview mit der NZZ Ende November 2022 zeigte sie Verständnis für die jungen Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten, die sich auf Strassen kleben, sprach sich für die Aufnahme von Klimaflüchtlingen aus, wollte keinen Zusammenhang sehen zwischen Zuwanderung und Energieknappheit, schloss einen EU-Beitritt der Schweiz nicht aus und versicherte, gegen eine weitere Erhöhung des Frauenrentenalters “mit aller Kraft” anzukämpfen. Elisabeth Baume-Schneider. Um von einem bürgerlich dominierten Schweizer Parlament zur Bundesrätin gewählt zu werden, machte sie buchstäblich alles falsch, was sie nur falsch mache konnte, zumal sie nicht einmal aus dem “richtigen” Landesteil stammt, hätte doch sogar gemäss Bundesverfassung die deutschsprachige Schweiz den Anspruch auf den nach dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga freigewordenen Sitz gehabt. “Mit dieser vollen Ladung linker Positionen”, so schrieb die Internetzeitung “Watson” am 1. Dezember 2022, “hat sich Elisabeth Baume-Schneider selbst ein Bein gestellt. Es fehlt ihr eben am rhetorischen Gespür, ihr Gedankengut den bürgerlichen Bevölkerungsschichten ausserhalb der Romandie zu vermitteln. Baume-Schneider scheint auch nach drei Jahren im Ständerat den Berner Politikbetrieb nicht verstanden zu haben. Wer in den Bundesrat gewählt werden will, muss mit einer cleveren Taktik und Flexibilität auftreten, Frohnatur und die Vorliebe für Schwarznasenschafe allein genügen nicht.”

Und nun das: Am 7. Dezember wird Elisabeth Baume-Schneider mit 123 Stimmen gegen 116 Stimmen für ihre favorisierte Gegenkandidatin Eva Herzog zur Bundesrätin gewählt. Für einmal haben sich Meinungsforscher, Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter, Exponentinnen und Exponenten der politischen Parteien und die allermeisten Medien ganz gründlich geirrt. Ein kleines Wunder ist geschehen. Nicht die “kompromissfähige”, “abgeklärte”, mit allen politischen Wassern gewaschene Eva Herzog hat die Gunst der Mehrheit aller Parlamentarierinnen und Parlamentarier gefunden, sondern die deutlich linkere Elisabeth Baume-Schneider, die eben noch scheinbar alles unternommen hatte, um sich mit ihren Aussagen in der Öffentlichkeit unglaubwürdig zu machen und sich “ein Bein zu stellen”.

Ein schönes Lehrstück in Sachen Demokratie. Ohne an dieser Stelle die Verdienste von Eva Herzog als langjährige Basler Regierungsrätin und Ständerätin klein zu reden, hatte Elisabeth Baume-Schneider ihr doch offensichtlich etwas Entscheidendes voraus: ihre spürbare Leidenschaft für die soziale Gerechtigkeit, ihren Humor, ihre Kraft der Vision, um immer wieder über die Nasenspitze des politischen Alltagsgeschäfts hinauszuschauen, und ihre Authentizität, mit der sie ihre persönlichen Ziele erklärt und bei der man stets spürt: Das ist alles andere als vorgespielt oder aufgesetzt, sondern kommt stets aus der tiefsten Seele. 

Ein kleines Wunder ist die Wahl von Elisabeth Baume-Schneider aber insbesondere auch deshalb, weil es alles andere als selbstverständlich ist, dass ein Parlament mit einer klaren bürgerlichen Mehrheit ausgerechnet der “linkeren” der beiden Kandidatinnen den Vorzug gegeben hat. Als in den Medien berichtet wurde, Baume-Schneider sei in jungen Jahren bei der “Revolutionären Marxistischen Liga” aktiv gewesen, hätte man erwarten können, dass sie nur schon allein aufgrund dieser Tatsache niemals von einem bürgerlichen Parlamentarier oder einer bürgerlichen Parlamentarierin gewählt würde. Doch vielleicht hat ja gerade diese Geradlinigkeit, diese Echtheit, dieses Feuer, das schon früh in ihrem Leben brannte, zu ihrer Glaubwürdigkeit und letztlich zu ihrer Wählbarkeit ganz wesentlich beigetragen – ein Zeichen und ein Vorbild für all jene jungen Menschen, die sich aller “Vernunft”, allen “Realitätssinns”, aller falsch verstandener “Kompromissbereitschaft” zum Trotz nicht von ihren Träumen und Visionen einer gerechteren und friedlicheren Welt abhalten lassen. “Im Jugendidealismus”, sagte der Urwalddoktor Albert Schweitzer, “erschaut der Mensch die Wahrheit. Mit ihm besitzt er einen Schatz, den er gegen nichts in der Welt eintauschen soll.” Vielleicht ist genau dieses Junge, Lebendige, Idealistische, Leidenschaftliche, was Elisabeth Baume-Schneider ausstrahlt, der Schlüssel zu diesem Wahlerfolg, den kaum jemand erwartet hätte.

Die überraschend gewählte Bundesrätin und das Parlament mit seiner überraschenden Wahl – beides hat an diesem 7. Dezember zusammengespielt. Und so wurden für einmal nicht Mauern gebaut, sondern Brücken – nicht Elisabeth Baume-Schneider hat sich ein Bein gestellt, sondern all jene, die davon ausgegangen sind, alles müsse auch die nächsten 100 Jahre so weitergehen, wie es schon die letzten 100 Jahre gegangen ist.