Russland von den Olympischen Spielen 2024 ausgeschlossen? Machen wir es doch wenigstens so gut wie die alten Griechen vor über 2000 Jahren…

 

“Soll Russland an Olympia teilnehmen dürfen?”, fragt der “Tagesanzeiger” am 21. März 2023. In einem Positionspapier, so berichtet die Zeitung, hätte der Dachverband Olympics erklärt, mit dem Angriff auf die Ukraine hätte sich die russische Regierung gegen die Werte der olympischen Bewegung gestellt, deshalb trage auch Swiss Olympic die Empfehlung des internationalen Olympischen Komitees (IOK) mit, russische und belarussische Athleten und Athletinnen von internationalen Wettkämpfen auszuschliessen. Indessen befasse sich der Exekutivausschuss des IOK zurzeit mit der Erarbeitung eines möglichen Kompromisses: Nur wer als Athlet oder Athletin den Krieg nicht aktiv unterstütze, könnte teilnehmen, jedoch seien keine russischen Flaggen, keine russische Hymne und keine russischen Erkennungszeichen zugelassen. Dieser Kompromissvorschlag sei von Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris und damit Gastgeberin an den Spielen, dezidiert abgelehnt worden: Sie wolle 2024 weder eine russische noch eine weissrussische Delegation in “ihrer Stadt” haben. Gegnerinnen und Gegner einer Olympiateilnahme von Russland und Weissrussland argumentierten damit, dass die Sportlerinnen und Sportler dieser Länder durch ihre Sportverbände dem russischen oder weissrussischen Komitee angehörten, das vom selben Staat unterstützt werde, der den Angriffskrieg ausgelöst hätte. Nur die wenigsten Athletinnen und Athleten könnten wohl belegen, dass sie nicht von staatlicher Sportförderung profitieren würden.

Wie war das schon wieder zur Zeit des Vietnamkriegs, des Jugoslawienkriegs, des Irakkriegs und aller anderen über 40 von den USA seit 1945 durchgeführten Militäroperationen und Angriffskriege? Hat man da auch jeweils sämtliche Athletinnen und Athleten der USA und ihrer Verbündeten von den Olympischen Spielen ausgeschlossen, US-amerikanische Flaggen und Erkennungszeichen sowie die US-amerikanische Hymne verboten? Hätte man das ebenso konsequent durchgezogen, wie heute gegen Russland und Weissrussland vorgegangen wird, dann hätte es seit 1945 wohl nicht sehr viele Olympische Spiele mit Beteiligung von Athletinnen und Athleten aus den USA gegeben.

Besteht nicht die Grundphilosophie der Olympischen Spiele seit eh und je in der Idee der grenzüberschreitenden Völkerverständigung? Da waren uns die alten Griechen, die Erfinder der Olympischen Spiele, schon vor über 2000 Jahren um einiges voraus: Während der Dauer der Spiele mussten nämlich alle Kriege, welche von den griechischen Völkern untereinander geführt wurden, unterbrochen werden und selbst die Athleten der am meisten zerstrittenen Völker massen sich im friedlichen Wettstreit aneinander. Würde man 2024 auch Athletinnen und Athleten aus Russland oder Weissrussland an den Olympischen Spielen teilnehmen lassen, würde das ja nicht bedeuten, dass man deshalb den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine rechtfertigen oder gutheissen würde. Es würde nur heissen, dass man die weise Einsicht walten liesse, Sport und Politik voneinander zu trennen und nicht Menschen, die sich über Jahre mit grösster Leidenschaft und vielen Entbehrungen auf die weltweit bedeutendsten sportlichen Wettkämpfe vorbereitet haben, dafür zu bestrafen, dass ihre Regierungen Kriege führen oder andere Menschenrechtsverletzungen begehen. “Die Russinnen und Russen”, sagte Yves Rossier, langjähriger Schweizer Botschafter in Moskau, “sind ein wunderbares Volk, emotionale Menschen mit grossen Herzen.” Diese Erkenntnis scheint in der heute so aufgeheizten Diskussion rund um den Ukrainekrieg immer mehr verloren zu gehen, indem man alle Russinnen und Russen und dazu auch gleich noch – aus was für Gründen auch immer – sämtliche Weissrussinnen und Weissrussen in den gleichen Topf wirft. Es ist das Gegenteil dessen, was man tun müsste, um die Fäden der gegenseitigen Völkerverständigung nicht noch gänzlich abzureissen und dem Frieden eine Chance zu geben, über alle Grenzen hinweg.

Machen wir es doch wenigstens ein klein wenig so gut wie die alten Griechen. Legen wir die Waffen nieder, nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in unseren Köpfen. Stellen wir der Logik des Kriegs die Logik des Friedens und der Völkerverständigung entgegen. Lassen wir die Olympischen Spiele zu einem Fest des Friedens werden, wo der Hass und das Schüren von Feindbildern keinen Platz haben sollen und sich auf wundersame Weise Feinde wieder in Freunde verwandeln…