Roger Köppel und das “Recht auf Hass im Internet”

 

Unter dem Titel “Hass, ein Plädoyer” schreibt SVP-Nationalrat Roger Köppel in der “Weltwoche” vom 12. Oktober 2021: “Es vergeht kaum eine Woche, in der Zeitungen oder Politiker nicht die Abschaffung des Hasses im Internet fordern. Ich dagegen fordere Fairness für den Hass. Ich plädiere fürs Hassen. Denn die Hassrede ist genauso Teil des freien demokratischen Gesprächs wie die Liebeserklärung. Doch die Hass-Verbieter und Hans-Bekämpfer möchten, dass es nur noch Liebeserklärungen gibt. Ich wage die Behauptung: Dieses Unterfangen wird scheitern. Wer hasst, sagt aus tiefster Seele nein. Das dürfen wir uns von niemandem verbieten lassen. Es darf kein Hassverbot geben. Im Gegenteil, wir sollten die Leute ermutigen, ihren Hass auf den sozialen Medien auszuleben. Das ist besser, als wenn sie zum Küchenmesser greifen oder sich eine Pistole oder ein automatisches Gewehr kaufen.” Herrschte bislang weitgehend der Konsens, dass Hass im Internet etwas Verwerfliches sei, fordert uns nun also tatsächlich ein Nationalrat und Chefredaktor einer Wochenzeitung dazu auf, lustvoll im Internet möglichst viel Hass zu verbreiten. Als gäbe es so etwas wie ein Recht auf Hass. Gleichzeitig zieht Köppel das Gegenteil, die Liebe, oder, wie er es nennt, die “Liebeserklärung”, ins Lächerliche, so als wäre das bloss etwas für allzu Sentimentale und Weicheier. Besonders stossend die Argumentation, dass die Menschen, wenn das Verbreiten von Hass im Internet verboten würde, dann halt zum Küchenmesser oder zum automatischen Gewehr greifen würden. So etwas wie eine Drohung: Lasst uns unseren Hass im Internet verbreiten, sonst, wenn ihr uns das verbieten wollt, greifen wir zu gröberem Geschütz. Völlig daneben auch Köppels Behauptung, wer Hass verbreite, sage “aus tiefster Seele Nein”. Damit unterstellt Köppel jedem Kind, das nicht gehorcht, und jeder Klimaaktivistin, welche gegen eine zu lasche Klimapolitik protestiert, dass ihr “Nein” einzig und allein purem Hass entspringe. Dabei hat das eine mit dem anderen auch nicht das Geringste zu tun. Im Gegenteil: Die meisten Menschen, die sich mit Leidenschaft gegen Missstände oder Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen, lehnen Hass und Gewalt aus Überzeugung ab. Nein, man kann es drehen und wenden, wie man will: Es bleibt am Ende kein stichhaltiges Argument übrig, das die Verbreitung von Hass im Internet und den sozialen Medien rechtfertigen könnte. Ob sich Köppel seiner höchst gefährlichen Rhetorik nicht bewusst ist? Gehören Beleidigungen gröbster Art, Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen, gehört das alles noch zum “Recht auf Hass”, das man den Menschen nicht wegnehmen sollte? Nur in einem Punkt gebe ich Roger Köppel Recht: Man wird den Hass im Internet nicht verbieten können. Aber man sollte wenigstens alles Erdenkliche tun um die Menschen darüber aufzuklären und mit ihnen darüber zu diskutieren, wie schädlich das Verbreiten von Hass im Internet ist, wie wenig Konstruktives damit erreicht werden kann und wie viel Unheil damit schon angerichtet worden ist. Dies erwarte ich von einem verantwortungsvollen Politiker und Chefredaktor und nicht, dass er das Verbreiten von Hassbotschaften im Internet sogar noch salonfähig macht und glorifiziert. Wer das Recht auf freie Meinungsäusserung hoch hält und gleichzeitig das “Recht auf Hass”, muss früher oder später einsehen, dass sich beides zusammen gleichzeitig nicht vereinbaren lässt.