Rede Selenskis vor dem Schweizer Parlament: Ein Funken Hoffnung, der nicht erlöschen darf…

 

Erstaunlich massvoll war die Rede Wolodomir Selenskis ans Schweizer Parlament am 15. Juni 2023. Er hielt sich mit Vorwürfen an die Schweiz wegen ihrer neutralen Haltung zurück, sagte, jedes Land müsse “gemäss seiner eigenen Expertise” helfen, und dankte der Schweiz sogar dafür, dass sie, die “liebe Schweiz”, in diesem Konflikt “nicht gleichgültig geblieben” sei. Damit nicht genug: Er skizzierte sogar eine neue Rolle für die Schweiz. Diese solle einen “globalen Friedensgipfel” durchführen, hier könne die Schweiz “ihre Kernkompetenz” umsetzen.

Man könnte bei solchen Worten schon fast ein wenig aufatmen. Endlich ist nicht nur von Waffen die Rede, sondern sogar von einem “globalen Friedensgipfel” – was könnte man sich angesichts so sinnlosen Blutvergiessens im täglich erbittert geführten Kampf um ein paar Quadratkilometer so genannt gegenseitig “befreiter” Gebiete sehnlicher wünschen? Mit der Rolle, welche Selenski der Schweiz bei einer möglichen Friedenslösung zuschreibt, hat ausgerechnet die SVP, welche die Rede Selenskis boykottierte, im Nachhinein Recht bekommen, indem sie nämlich schon von Anfang an eine möglichst neutrale Haltung der Schweiz gefordert hatte, damit diese einen glaubwürdigen Beitrag zu einer friedlichen Lösung des Konflikts leisten könnte. Während sich am anderen Ende der Skala Balthasar Glättli, Präsident der Grünen, einen “schärferen Appell” Selenskis gewünscht hätte und auch, dass Selenski “den Finger noch stärker in die Wunden ” hätte legen sollen. Verkehrte Welt: Die SVP, die man traditionell näher mit Militarismus und Kriegsrhetorik assoziiert, fordert Neutralität, um Frieden zu schaffen – während ausgerechnet die Grünen in totalem Widerspruch zu ihrer pazifistischen Tradition nach mehr Waffen und nach einem härteren militärischen Kurs schreien.

Mit seiner Rede hat Selenski für einmal einen Funken Hoffnung in die Welt gesetzt. Die Hoffnung nämlich, dass dieser Konflikt zwischen Russland und der Ukraine möglicherweise auch anders gelöst werden könnte als durch militärische Gewalt. Erstaunlicherweise hat Selenski dabei ausgerechnet gegenüber der Schweiz – wohl aufgrund eines gewissen Respekts gegenüber ihrem eigenständigen Kurs – sanftere Töne angeschlagen als beispielsweise in seinen Reden an das deutsche, britische oder US-Parlament. Doch, kaum zu glauben: Das schweizerische Aussendepartement EDA verzichtet darauf, zur Rede Selenskis Stellung zu nehmen. Bisher hatte sich das EDA dahingehend geäussert, dass eine Vermittlerrolle der Schweiz “zu gegebenem Zeitpunkt” allenfalls in Frage käme, es hierfür aber noch “zu früh” sei. Was heisst “zu früh”? Wie viele Tote, wie viele zerstörte Dörfer und Städte, wieviel verbrannte Erde wird es denn noch noch brauchen, bis es für Friedensverhandlungen nicht mehr “zu früh” ist? Für den Frieden ist es nie zu früh, für den Krieg immer zu spät. Wenn schon Selenski einen noch so kleinen Wink in die Richtung einer Friedenslogik gegeben hat, dann müsste man doch diesen Zipfel, und wäre er noch so klein, mit aller Entschlossenheit und Tatkraft ergreifen und sich nicht mehr länger hinter irgendwelchen nebulösen Ausreden verstecken. China, Indien, Brasilien, Indonesien, mehrere afrikanische Länder und die Türkei haben schon Initiativen für eine friedliche Lösung des Ukrainekonflikts ergriffen. Was hält die Schweiz davon ab, sich in die Reihe dieser Länder zu stellen, um gemeinsam genau das, was Selenski forderte, auf die Weltbühne zu bringen: nicht nur eine friedliche Lösung des Ukrainekonflikts, sondern nichts weniger als einen “globalen Friedensgipfel”. Denn es geht nicht nur um die Ukraine, weitere über 20 Kriege wüten zur Zeit und auch der Taiwankonflikt zwischen den USA und China droht sich gefährlich zuzuspitzen. Frieden ist nicht partiell machbar. Entweder ist er überall oder nirgends. Wer einen weltweiten Frieden, einen Abbau aller Spannungen zwischen den Grossmächten oder sogar eine Abschaffung aller Waffen und Armeen fordert, darf sich ab dem 15. Juni 2023 sogar – oh Wunder – auf den ukrainischen Präsidenten Selenski berufen. Was für eine Chance…