Rassismus früher und heute – wir brauchen nicht nur Vergangenheitsbewältigung, sondern vor allem auch Gegenwartsbewältigung

 

Wie “20Minuten” am 10. Januar 2022 berichtet, schliesst der Europapark im deutschen Rust seine seit Jahren mit Rassismuskritik konfrontierte “Dschungel-Flossfahrt”, wo schwarze Personen in traditioneller afrikanischer Kleidung nebst weissen Kolonialherren in beigen Safarianzügen und Tropenhüten zu sehen sind – Zerrbilder längst vergangener Zeiten, die hier bilderbuchartig über Jahrzehnte weitervermittelt worden sind. Zerrbilder? Längst vergangene Zeiten? Schön wäre es. Bei aller Rassismuskritik in der heutigen Zeit geht nur zu leicht vergessen, dass Rassismus auch heute noch längst nicht ausgerottet ist. Ganz im Gegenteil. Gemäss Duden besteht Rassismus in “institutionellen und gesellschaftlichen Strukturen, durch die Menschen aufgrund bestimmter biologischer oder ethnisch-kultureller Merkmale diskriminiert werden.” So gesehen wäre Rassismus erst dann überwunden, wenn Menschen weltweit ganz unabhängig vom Ort, wo sie geboren wurden, genau die gleichen Chancen auf ein menschenwürdiges Leben hätten, genau die gleichen Chancen auf fairen Lohn und gute Arbeitsbedingungen, die genau gleichen Chancen auf Bildung und kulturelle Teilhabe. Tatsache aber ist, dass ein Kind, das im Kongo oder im Jemen geboren wird, eine ungleich viel geringere Chance auf ein menschenwürdiges Leben frei von Ausbeutung und Unterdrückung hat als ein Kind, das in Schweden oder in der Schweiz geboren wird – und dies einzig und allein infolge seines Geburtsorts, seiner ethnischen Zugehörigkeit und seiner Hautfarbe. Rassismus ist heute noch, mehr denn je, allgegenwärtige, bittere Realität in einer Welt, in der die Gegensätze zwischen Arm und Reich laufend noch grösser werden. Der Unterschied ist nur, dass der Sklavenhalter von einst nicht mehr im beigen Safarianzug mit Tropenhut durch den afrikanischen Dschungel streift, sondern mit weissem Hemd, dunkelblauem Anzug und Krawatte in einem vollklimatisierten Büro in London, New York oder Zürich sitzt und dort die Millionengewinne aus seinen Geschäften mit Kakao, Bananen oder Tropenholz auf seinem Computer genüsslich hin- und herschiebt. So sensibel die Öffentlichkeit in den USA, in Deutschland, Spanien oder Frankreich heute auf den Rassismus früherer Zeiten reagiert, so systematisch Spuren und Denkmäler früherer Sklavenhalter ausgetilgt werden, so akribisch rassistische Begriffe aus dem täglichen Sprachgebrauch entfernt werden – so blind ist man auch heute noch gegenüber dem alltäglichen Rassismus, dem Millionen von Menschen in den Ländern des Südens, die tägliche Schwerstarbeit zwecks unaufhörlicher Gewinnvermehrung multinationaler Konzerne leisten, Tag für Tag ausgeliefert sind, nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort geboren wurden. Wäre man doch gegenüber diesem ganz “normalen”, alltäglichen Rassismus nur einen Bruchteil so kritisch wie gegenüber dem Rassismus früherer Zeiten! Dies würde allerdings mehr bedeuten als die Entfernung der “Dschungel-Flussfahrt” aus dem Europapark in Rust. Es würde bedeuten, unser gesamtes kapitalistisches Wirtschaftssystem, diese weltweite Institutionalisierung von Ausbeutung, Gewalt und Rassismus, radikal zu hinterfragen und ein neues Wirtschaftssystem zu erdenken, das nicht mehr auf endloser Ausbeutung und Gewinnmaximierung beruht, sondern auf dem guten Leben für alle – ganz unabhängig davon, wo man geboren wird, welcher Ethnie man angehört und welche Hautfarbe man hat. Die “Dschungel-Flussfahrt” im Europapark wird durch eine neue Bahn zum Thema “Österreich” ersetzt. Schade. Man hätte ja auch einen Themenpark einrichten können, bei dem man von den Wolkenkratzern Manhattans bis zu den Goldminen in Südafrika gefahren wäre und dabei erfahren hätte, wie alles mit allem zusammenhängt.