Parlamentswahlen: Demokratie pur oder nur Scheindemokratie?

Kein Tag, an dem am Fernsehen und Radio keine Diskussionssendung zu den bevorstehenden National- und Ständeratswahlen ausgestrahlt wird. Keine Strasse ohne Wahlplakate. Keine Zeitung ohne Inserate mit den für die Parlamentswahlen kandidierenden Köpfe. Kein Briefkasten, in dem nicht beinahe im Tagesrhythmus Flyer und Wahlprospekte zu finden sind. Keines der sozialen Medien, auf dem nicht mit allen möglichen und unmöglichen für Kandidierende geworben wird. Demokratie pur in einem Land, in dem die freie Meinungsäusserung zu einem der höchsten gemeinsamen Güter gehört. Und doch hat das Ganze einen Riesenhaken. Schaut man sich nämlich die Aussagen, politischen Positionen und Versprechungen der einzelnen Kandidierenden etwas genauer an, dann stellt man sehr schnell einmal fest, dass nicht ein einziger dieser Politiker, nicht eine einzige dieser Politikerinnen das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem grundsätzlich in Frage stellt und die Einführung einer nichtkapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung fordert. Niemand stellt das Privateigentum in Frage. Niemand findet, dass die Fabriken denen gehören sollten, die darin arbeiten. Niemand fordert einen Einheitslohn. Niemand stellt das Dogma des immerwährenden Wirtschaftswachstums grundsätzlich in Frage. Niemand hat die Entliberalisierung und Entprivatisierung öffentlicher Dienstleistungsunternehmen auf seiner politischen Agenda. Niemand fordert die Abschaffung der wundersamen Geldvermehrung durch Zins und Zinseszins. Und so entpuppt sich unsere angeblich lupenreine Demokratie in Tat und Wahrheit als alles durchdringende Diktatur des Kapitalismus, in der sich die verschiedenen politischen Parteien zwar in einzelnen Themen und Fragestellungen mehr oder weniger voneinander unterscheiden mögen, im Grunde jedoch im gemeinsamen Konsens zur Erhaltung des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems insgeheim miteinander verbündet sind. Was nichts anderes bedeutet, als dass wir sozusagen in einer Scheindemokratie leben, in der die angeblich so unterschiedlichen politischen Parteien bloss einzelne Fraktionen einer letztlich grossen kapitalistischen Einheitspartei sind. Das Fatale daran ist nicht nur, dass auf diese Weise eine Auseinandersetzung mit alternativen, nichtkapitalistischen Visionen verunmöglicht wird, sondern vor allem auch, dass kapitalistisches Denken offensichtlich schon so umfassend in unsere Köpfe eingedrungen ist, dass wir uns eine Alternative zum Kapitalismus offensichtlich schon gar nicht mehr vorzustellen vermögen.