Damit die Hoffnung auf eine friedliche und gerechte Zukunft nicht verloren geht

Am erstaunlichsten an den gegenwärtigen Unruhen in Chile, Ecuador, Bolivien und Kolumbien ist, dass sie nicht schon früher ausgebrochen sind. Denn nirgendwo sonst ist eine der wichtigsten Ursachen für die weltweit auftretenden Phänomene Populismus, Polarisierung und Wutbürgertum so einschneidend wie dort: der Gegensatz zwischen urbanen, globalisierungsfreudigen Eliten und den Angehörigen des strampelnden Prekariats aus der unteren Mittelschicht und dem Heer der Armen. Ein Leben in verbarrikadierten Enklaven des Luxus, mit Privatschulen und exzellenter medizinischer Versorgung, Chauffeuren, Leibwächtern und Haushaltshilfen auf der einen Seite. Eine Existenz in ständiger Ungewissheit auf der anderen. Es gibt wenig Grund zu Optimismus. Am ehesten stimmt einen die Entschlossenheit zuversichtlich, mit der ein wachsender Teil der Bevölkerung die Arroganz der Macht zurückweist. Aber so lange dies bedeutet, dass ein rechter Populist durch einen linken ersetzt wird oder umgekehrt, ist noch nichts gewonnen.

(Tages-Anzeiger, 27. November 2019)

Das ist der springende Punkt. Es genügt nicht, einen Populisten durch einen anderen zu ersetzen. Nicht die Politiker und Politikerinnen sind auszuwechseln. Auszuwechseln ist das System, sprich der Kapitalismus. Denn die himmelschreienden sozialen Gegensätze in diesen Ländern sind kein Zufall, sondern die ganz logische und direkte Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems, das die Reichen immer reicher und gleichzeitig die Armen immer ärmer macht. Gleichzeitig erfährt man, dass gemäss neuem UNO-Klimabericht der weltweite CO2-Ausstoss weiter zunimmt und das Erreichen des Pariser Klimaabkommens in weite Ferne gerückt ist. Und auch hier: Hauptursache und Grundmotor einer Weltwirtschaft, die wider alle Vernunft immer noch auf schrankenloses Wachstum ausgerichtet ist, ist der Kapitalismus mit seinem Drang nach immer mehr, immer schneller, immer billiger. Ob im Sozialen oder im Ökologischen, ob in Südamerika oder beim Weltklima: Der Angelpunkt, das Scharnier, der archimedische Punkt, die Stelle, wo alles mit allem zusammenhängt, ist der Kapitalismus. Wenn am kommenden Freitag weltweit die Klimajugend wieder auf die Strassen geht, dann sollte daher die Forderung nach einem «System Change» lauter und unmissverständlicher erklingen denn je. Damit die Hoffnung auf eine friedliche und gerechte Zukunft, in der die Menschen im Einklang mit sich und mit der Natur leben, nicht verloren geht…