OECD-Mindeststeuer: ein “Deal der Reichen”…

 

Eifrig wurde in der gestrigen “Arena” des Schweizer Fernsehens SRF1 über die Abstimmungsvorlage vom 18. Juni über die Umsetzung einer OECD-Mindeststeuer für grosse international tätige Unternehmen von 15 Prozent diskutiert. Einig war man sich darin, dass die Einführung dieser Mindeststeuer unumgänglich sei. Uneinig aber war man sich in Bezug auf den Verteilschlüssel der zusätzlichen Steuereinnahmen zwischen Bund und Kantonen. Nur am Rande wurde, von einem Vertreter der “Alliance Sud”, die Problematik der globalen Steuergerechtigkeit erwähnt. Dabei müsste doch, wenn man in diesem Zusammenhang von “Gerechtigkeit” spricht, dies das eigentliche Hauptthema sein.

Denn die Milliardengewinne der grossen multinationalen Konzerne fallen ja nicht über Nacht vom Himmel. Sie resultieren einzig und allein aus dem Umstand, dass in den Ländern des Südens Millionen von Arbeiterinnen und Arbeitern zu Hungerlöhnen jene Rohstoffe und Produkte erwirtschaften, die dann in den Ländern des Nordens so gewinnbringend verkauft werden. Und weil die Steuersätze in den Ländern des Südens um einiges höher sind als in den allermeisten Ländern des Nordens, werden eben dort, und nicht in den ohnehin schon benachteiligten Ländern des Südens, die Gewinne der Konzerne versteuert. So verlieren die Länder des Südens jährlich Steuereinnahmen von 27 Milliarden Dollar, während beispielsweise in der Schweiz 38 Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus reiner Gewinnverschiebung resultieren und eigentlich als “gestohlenes Geld” bezeichnet werden müssten. Auch eine von der Entwicklungsorganisation “Oxfam” publizierte Zahl, wonach die Schweiz im Handel mit “Entwicklungsländern” einen fast 50 Mal höheren Gewinn erwirtschaftet, als sie dann diesen Ländern in Form von “Entwicklungsländern” zurückerstattet, zeigt, dass die Folgen der Kolonialzeit und über Jahrhunderte weitergeführter Ausbeutung, Ausplünderung und Ausblutung des Südens durch den Norden bis in unsere Tage nahezu ungehindert weitergehen.

Dass die geplante Mindeststeuer von 15 Prozent den Ländern des Nordens immer noch einen komfortablen Standortvorteil verschafft, zeigt auch die Tatsache, dass einzelne OECD-Länder durchaus zu einem höheren Mindeststeuersatz bereit gewesen wären, so etwa hatten die USA einen Steuersatz von 21 Prozent vorgeschlagen. Am anderen Ende der Skala Tiefsteuerländer wie Irland, Luxemburg, Singapur und die Schweiz, die für deutlich niedrigere Steuersätze plädierten. Nach wie vor wird also auch mit der Einführung einer OECD-Mindeststeuer von 15 Prozent der Regelkreis weltweiter wirtschaftlicher Ausbeutung bei weitem nicht durchbrochen, so dass die Länder des Südens bei diesem Vorhaben ganz und gar nicht zu Unrecht von einem “Deal der Reichen” sprechen.

“Bund und Kantone”, so die “Alliance Sud”, “werden die zusätzlichen Einnahmen aus der Mindeststeuer für die Standortförderung einsetzen. So steht es im betreffenden Bundesbeschluss. Zu Deutsch: Die Zusatzeinnahmen werden also eingesetzt, um neue Steuergeschenke für Konzerne und ihre Manager oder sogar Subventionen für diese Konzerne zu finanzieren. Die Bevölkerung geht leer aus – in der Schweiz, aber vor allem auch in den Produktionsländern der Schweizer Konzerne im Globalen Süden, wo es infolge des globalen Steuerdumpings am nötigen Geld für sämtliche Infrastrukturen von den Spitälern über die Schulen bis zur Energieversorgung fehlt.”

Das Beispiel der OECD-Mindeststeuervorlage zeigt: Mehr vermeintliche “Gerechtigkeit” zu schaffen nur an einem Ort, genügt nicht oder kann sogar das Gegenteil bewirken – auf der anderen Seite beisst sich die Katze in den Schwanz. Solange die gesamte Weltwirtschaft vom kapitalistischen Konkurrenzprinzip zwischen “starken”, “weniger starken” und “schwächeren” Volkswirtschaften und Ländern dominiert wird und jeder nur darauf bedacht ist, sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen, bleiben punktuelle Massnahmen reine Symptombekämpfung. “Was alle angeht, können nur alle lösen”, sagte Friedrich Dürrenmatt. Was wir brauchen, sind nicht bloss tiefere oder höhere Steuersätze für multinationale Konzerne. Was wir brauchen, ist eine Überwindung des Kapitalismus, eine radikale Abkehr vom globalen Konkurrenzprinzip über alle Grenzen hinweg, eine Abschaffung jeglicher Ausbeutung der Armen durch die Reichen, der “schwächeren” durch die “stärkeren” Volkswirtschaften, des Südens durch den Norden. Dass wir davon offensichtlich noch Lichtjahre entfernt sind, zeigt die aktuelle Diskussion über die OECD-Mindeststeuervorlage aufs schmerzlichste und lässt mich mit tiefer Ratlosigkeit zurück: Soll ich nun am 18. Juni Ja oder Nein stimmen? Wofür ich mich auch entscheide: Beides ist falsch. Ganz einfach deshalb, weil der Kapitalismus selber der falsche Weg ist, der uns, scheinbar alternativlos, hinführt zu immer wieder neuer Ungerechtigkeit, zu immer wieder weniger Solidarität, mit immer weniger Aussicht auf ein gutes Leben für alle, auf einem Planeten, der nicht einigen wenigen gehören sollte, sondern uns allen.