Nicht der Stillstand ist die Alternative zum immerwährenden Wachstum, sondern das Gleichgewicht

Unter Klimaaktivisten gilt es als ausgemacht, dass wir das Wirtschaftswachstum stoppen müssen, um den Planeten zu retten. Greta Thunberg sagte es in ihrer Rede vor der UNO so: “Alles, worüber ihr reden könnt, ist Geld und das Märchen eines ewig anhaltenden wirtschaftlichen Wachstums.” Auch Schweizer Klimaaktivisten fordern: “Systemwechsel statt Klimawandel”. Doch Corona bietet jetzt eine Vorahnung davon, was ein Stillstand der Wirtschaft für Arbeit, soziale Sicherheit und Wohlbefinden heisst, weltweit und in der Schweiz. Wir erleben gerade, wie viel Stress, Arbeitslosigkeit, Leid und verpasste Lebenschancen schon zwei Monate wirtschaftlicher Stillstand verursachen. Über die drohende Verelendung freut sich niemand, auch kein Klimaaktivist.

(Tages-Anzeiger, 23. Mai 2020)

Gibt es also nur die Alternative zwischen einem ewigen Wachstum, das Sicherheit und Wohlstand verspricht, und einem Stillstand, der in unermessliches Elend und Chaos führt? Wer so argumentiert, der verkennt, dass dieser goldene Wohlstand, von dem wir bisher profitiert haben, ein Wohlstand auf tönernen Füssen war. Ein Wohlstand nämlich, von dem nur eine Minderheit der Weltbevölkerung profitiert hat und der für Milliarden von Menschen schon bisher nichts anderes bedeutet hat als namenloses Elend und Chaos: für jene Milliarde Menschen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen, für jene zehntausend Kinder, die weltweit jeden Tag vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahres sterben, weil sie nicht genug zu essen oder kein sauberes Trinkwasser haben, für jene Abermillionen von Menschen, die unter sklavenartigen Zuständen auf Erdbeer- und Kakaoplantagen, in Bergwerken oder in Spielzeug- und Textilfabriken Schwerstarbeit zu geringster Entlohnung leisten müssen. Die Alternative lautet nicht: Wachstum oder Stillstand. Die Alternative lautet: Wachstum oder Gleichgewicht. Die unbeirrbaren Befürworter eines ewigen Wirtschaftswachstums machen es sich zu einfach, wenn sie jetzt auf die Folgen der Coronakrise zeigen und den Teufel einer nicht an Wachstum orientierten Wirtschaft an die Wand malen. Kein Klimaaktivist und auch nicht Greta Thunberg fordern einen Stillstand der Wirtschaft. Was sie aber fordern, ist eine Wirtschaft, die sich im Gleichgewicht befindet sowohl mit den Bedürfnissen der Menschen, wie auch mit den Bedürfnissen der Natur und der Lebensqualität und dem Wohlbefinden zukünftiger Generationen. Eine Wirtschaft, die sich nicht an Wachstumszielen, Dividenden und Börsenkursen orientiert, sondern an der Bereitstellung all jener Güter, welche die Menschen weltweit tatsächlich zur Erfüllung ihrer elementaren Lebensbedürfnisse benötigen. Eine Wirtschaft, die von der Natur immer nur gerade so viel nimmt, wie sie ihr dann auch wieder zurückgibt. Eine Wirtschaft, in der Einkommen und Arbeit gerecht auf alle verteilt sind und nicht mehr die einen sich zu Hungerlöhnen zu Tode schuften müssen, während andere, praktisch ohne etwas dafür leisten zu müssen, in sagenhaftem Wohlstand prassen. Und genau deshalb, dass es nicht beim immerwährenden Wachstum bleibt und auch nicht zum tödliche Stillstand kommt, sondern sich allen in Richtung eines Gleichgewichts bewegt, genau deshalb braucht es die Klimabewegung heute und in Zukunft dringender denn je.