Neues CO2-Gesetz: Das wäre höchstens ein kleiner Anfang…

 

Das neue CO2-Gesetz, über das am 13. Juni 2021 abgestimmt wird, will mit der Einführung einer Flugticketabgabe, einer Erhöhung der Abgaben auf Benzin, Gas und Erdöl, tieferen CO2-Zielwerten für Gebäude und Gebäudesanierungen, der Förderung umweltfreundlicherer Autos, der Unterstützung klimafreundlicherer Technologien und der Errichtung eines Klimafonds einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion der CO2-Immissionen und zum Klimaschutz leisten. Kritiker und Kritikerinnen des Gesetzes führen unter anderem das Argument ins Feld, die vorgesehenen Abgaben und Gebühren, die eine Reduktion schädlicher Emissionen bezwecken, führten zu einer einseitigen Benachteiligung der “kleinen”, schlecht verdienenden Leute. So kämen auf eine Durchschnittsfamilie jährliche Mehrkosten von 1000 Franken zu, gewisse Flugdestinationen wären für Leute mit kleinerem Portemonnaie nicht mehr erschwinglich, der Handwerker, der zu seiner Kundschaft täglich weite Strecken zurückzulegen habe, könne die Kosten für das teurere Benzin kaum mehr berappen und hohe Auflagen bei Gebäudesanierungen wie auch Neubauten würden sich zuletzt wiederum auf die Mietkosten der “einfachen” Leute überschlagen. Argumente, die – auch wenn man ein noch so überzeugter Verfechter wirkungsvoller Klimaschutzmassnahmen ist – nicht ganz von der Hand zu weisen sind. Tatsächlich sind Abgaben und Gebühren, die – wie zum Beispiel auch die Krankenkassenprämien – für alle gleich und ohne Rücksicht auf die individuellen sozialen und materiellen Verhältnisse erhoben werden, zweifellos höchst ungerecht. Fällt für Gutverdienende eine Erhöhung von Abgaben und Gebühren nämlich kaum ins Gewicht, bedeuten sie für die weniger gut Verdienenden oft überaus einschneidende und schmerzliche Eingriffe in ihr Haushaltsbudget. Etwas überspitzt könnte man sagen: Die “kleinen” Leute sollen sich gefälligst um den Klimaschutz kümmern – indem sie sowieso schon weniger konsumieren, die Umwelt weniger belasten und nun durch weitere Abgaben und Gebühren zusätzliche Opfer erbringen sollen -, während die “grossen” Leute weiterhin mit ihren SUVs über die Autobahnen rasen, ihre Swimmingpools im Sommer und im Winter aufheizen und nicht nur einmal, sondern gleich drei oder vier Mal pro Jahr um die halbe Welt fliegen. Zwar würde gemäss dem vorliegenden CO2-Gesetz ein Teil der geleisteten Abgaben über einen Klimafonds wieder an die Bevölkerung zurückfliessen, was zu einer gewissen ausgleichenden Gerechtigkeit führen würde. Doch die Tatsache, dass die “grossen” Leute weiterhin nach Lust und Laune ihren umweltbelastenden Vergnügungen und Aktivitäten frönen könnten, ist damit nicht aus der Welt geschafft. Um dies zu verhindern, müsste man sämtliche Gebühren und Abgaben so massiv erhöhen, dass sich dann die “kleinen” Leute überhaupt gar nichts mehr leisten könnten. Müsste man aufgrund dieser Überlegungen nun also besser das neue CO2-Gesetz ablehnen? Nein, denn wir können schlicht und einfach nicht tatenlos zuschauen, wie sich unser Klima von Jahr zu Jahr weiter aufheizt und die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen immer bedrohlicher auf dem Spiel stehen. Das heisst: Trotz aller Unzulänglichkeiten ist es unbedingt nötig, im Sinne eines ersten kleinen Schrittes diesem CO2-Gesetz zuzustimmen. Doch wird es, um die Klimakatastrophe abzuwenden, nicht genügen, Flugtickets und Benzinpreise ein wenig zu erhöhen, die Entwicklung klimafreundlicherer Autos und Technologien ein wenig zu fördern und Ölheizungen durch Wärmepumpen zu ersetzen. Es braucht viel, viel mehr. Es braucht nicht weniger als eine grundlegende philosophische Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens. Was brauche ich, um glücklich zu sein? Worauf könnte ich verzichten? Was könnte ich mit wem teilen? Was ist der Wert einer Reise? Ist es erstrebenswert, so schnell wie möglich von A nach B zu kommen? Ist das Billigste immer das Beste? Können das, was ich heute geniesse, auch die Menschen in anderen Ländern und zu späteren Zeiten geniessen? Oder verprasse ich etwas, was ich anderen dadurch vorenthalte? Würden wir uns immer wieder mit solchen Fragen auseinandersetzen und unsere Lebensweise dementsprechend verändern, dann bräuchte es so etwas wie dieses neue CO2-Gesetz vielleicht gar nicht mehr. Weil wir nämlich genug vernünftig geworden wären, freiwillig und ohne äusseren, gesetzlichen Zwang hier und heute so zu leben, dass noch möglichst viele zukünftige Generationen auf diesem Planeten ein gutes und schönes Leben haben können…