Nestlé-Chef Mark Schneider: “Hier tut sich etwas Gewaltiges”

 

Wie Nestlé-Chef Mark Schneider in einem Interview mit dem “Tagesanzeiger” vom 18. Oktober 2021 berichtet, gibt es heute bei den Vitaminen in den USA bereits personalisierte Angebote: Die Kundinnen und Kunden füllen einen umfangreichen Fragebogen aus und bekommen dann Beutelchen mit den Vitaminen, die auf sie abgestimmt sind. Ganz generell werde die Personalisierung von Nahrung zukünftig eine immer grössere Rolle spielen, da zum Beispiel jemand, der verengte Herzkrankgefässe habe, auf keinen Fall rotes Fleisch essen sollte, oder jemand, der einen Eisenmangel habe, unbedingt eisenhaltige Nahrung zu sich nehmen sollte. Schneider schwebt sogar eine Smartwatch vor, die durch die Haut lesen kann, um wichtige medizinische Daten permanent zu überprüfen. Doch nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Haustieren nimmt die Personalisierung der Nahrung laufend an Bedeutung zu. So verfüge Nestlé bereits heute über ein Tierfutter-Start-up, das Hundebesitzern Nahrung nach Hause schickt, die auf das eigene Tier abgestimmt sei. Denn ein Hund brauche je nach Grösse, Alter und Bewegung anderes Futter. Auch spiele es eine Rolle, ob ein Hund vor allem im Garten oder hauptsächlich in einem kleinen Apartment lebe. – Ich lese nochmals den Titel des zweiseitigen Interviews mit Mark Schneider: “Hier tut sich etwas Gewaltiges” und den Untertitel “Interview zur Ernährung”. Kann es tatsächlich sein, dass dieses “Gewaltige” einzig und allein darin besteht, die Nahrung für eine wohlhabende Minderheit der Weltbevölkerung mit immer raffinierteren Mitteln zu “personalisieren”, während mit keinem einzigen Wort erwähnt wird, dass eine Milliarde Menschen vor lauter Hunger nicht eine einzige Nacht gut schlafen können und jeden Tag weltweit zehntausend Kinder vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs sterben, weil sie nicht genug zu essen haben? Sollte das “Gewaltige”, von dem der Chef des grössten multinationalen Nahrungsmittelkonzerns spräche, nicht darin bestehen, dass weltweit kein einziger Mensch mehr Hunger leiden müsste – bevor man an die Erfüllung von Luxusbedürfnissen für eine satte Minderheit der Weltbevölkerung auch nur im Entferntesten denken könnte? Aber ja, da habe ich mich gewaltig getäuscht. Denn wir leben ja nicht in einer Welt, in der das Wohlergehen aller Menschen die oberste Priorität hat. Wir leben in einer kapitalistischen Welt, in der die Güter schon lange nicht mehr dorthin fliessen, wo sie am dringendsten gebraucht werden, sondern nur noch dorthin, wo die Menschen am meisten Geld haben, um sie auch tatsächlich kaufen zu können. Und es ist ja noch viel schlimmer: Unzählige Rohstoffe und Nahrungsmittel, die in den reichen Ländern “veredelt” und gewinnbringend verkauft werden, stammen aus Ländern, wo die Menschen auf den Feldern, Plantagen und in den Minen zu Hungerlöhnen schwerste Arbeit verrichten und auf fast alles verzichten müssen, was für die Menschen in den reichen Ländern des Nordens selbstverständlich ist. Man spricht so gerne von der Globalisierung und meint, aus der Sicht all jener, die davon profitieren, meistens durchaus etwas Positives. Aber diese Globalisierung ist fast ausschliesslich eine Globalisierung der Konzerngewinne und der Verwandlung von Blut, Tränen und Schweiss am einen Ende der Welt in das Gold und in den Luxus am anderen Ende der Welt. Wann endlich wird auch der Chef eines multinationalen Lebensmittelkonzerns nicht mehr ruhig schlafen können, wenn ihm bewusst geworden ist, welches die Opfer sind, denen er seine Profite verdankt? Und wann endlich wird das “Gewaltige”, über das gesprochen wird, nicht mehr eine immer weiter voranschreitende Globalisierung von Konzerngewinnen und eine immer grössere Kluft zwischen Arm und Reich sein, sondern eine Globalisierung der sozialen Gerechtigkeit und des guten Lebens für ALLE?