“Natürlich habe ich Angst!” Und genau deshalb brauchen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen…

Westfleisch, einer der drei grössten Fleischverarbeiter Deutschlands, bekannt für seine bestialischen Arbeitsbedingungen, mangelhaften Sicherheitsstandards und tiefen Löhne, hatte sich zu alledem schon im März zu einem der akutesten Coronaepidemieherde des Landes entwickelt. Allein im nordrhein-westfälischen Coesfeld, wo Westfleisch fast drei Millionen Schweine im Jahr schlachtet und zerlegt, haben sich 249 von 1200 Mitarbeitern infiziert. “Natürlich habe ich Angst”, sagt ein Mann auf dem Weg zur Arbeit, “aber ich habe ja keine Wahl. Wenn ich nicht zur Arbeit gehe, wovon soll ich dann leben?”.

(Tages-Anzeiger, 12. Mai 2020)

Und genau deshalb braucht es ein bedingungsloses Grundeinkommen. Damit sich der Arbeiter frei entscheiden kann: Entweder bleibe ich zu Hause und begnüge mich mit einem bescheidenen Lebensunterhalt, verzichte auf dieses und jenes. Oder ich habe ein etwas höheres Einkommen für den Preis, dass ich mich bestialischen Arbeitsbedingungen unterwerfen muss und mich tödlichen Gefahren aussetze. Vielleicht gäbe es dann gewisse Jobs nicht mehr – ganz einfach, weil ein Leben mit dem bedingungslosen Grundeinkommen attraktiver wäre als der betreffende Job. Aber wäre das so schlimm? Wäre es so schlimm, wenn es solche Fleischfabriken, in denen nicht nur die Tiere, sondern auch die Menschen blosse Wegwerfartikel im Dienste des Kapitals sind, wenn es solche Fleischfabriken schlicht und einfach nicht mehr gäbe? Oder wenn es diese Textilfabriken in Bangladesh, in denen für Hungerlöhne Kleider für den westlichen Markt produziert werden, von denen mehr als die Hälfte früher oder später im Müll landen, wenn es diese Textilfabriken nicht mehr gäbe? Ein – weltweites – bedingungsloses Grundeinkommen würde die Unternehmen dazu zwingen, Löhne und Arbeitsbedingungen so attraktiv zu gestalten, dass die Menschen sich freiwillig dafür entscheiden, dort zu arbeiten. Dies würde geradezu zu einer Umkehrung des Bisherigen führen, denn, um genügend Arbeitskräfte zu gewinnen, müssten genau jene Jobs, die heute am schlechtesten bezahlt sind, am besten bezahlt werden…