Mosaiksteine einer neuen Welt

 

Drei Mosaiksteine einer neuen Welt habe ich in der heutigen “NZZ am Sonntag” vom 21. Februar 2021 entdeckt. Der erste Mosaikstein ist eine Änderung der Bau- und Zonenordnung der Stadt Hamburg, welche zukünftig den Bau von neuen Eigenheimen verhindern soll, dies vorab aus ökologischen und aus Platzgründen. Mindestens so interessant wie diese vor wenigen Jahren noch undenkbare Bauzonenänderung ist der von der “NZZ am Sonntag” gesetzte Titel dieses Artikels: Dieser Titel lautet nicht etwa “Weltfremde Utopisten” oder “Grüne Fundis setzen Hauseigentümern das Messer an den Hals”, sondern, man staune: “Das Einfamilienhaus – heiss geliebtes Auslaufmodell.” Der zweite Mosaikstein ist das soeben erschienene Buch “Wie wir die Klimakatastrophe verhindern” von Bill Gates. In diesem Buch vergleicht Bill Gates den Klimawandel mit einer Badewanne, die sich langsam, aber stetig durch einen lediglich tropfenden Hahn füllt, irgendwann überschwappt und alles überflutet. Ein drastisches Bild, dementsprechend drastisch dann auch die Massnahmen, die Bill Gates zur Verhinderung des Klimawandels vorschlägt. Und der dritte Mosaikstein sind die unlängst von der schweizerischen Landesregierung herausgegebenen “Ernährungsempfehlungen”, wonach man noch höchstens zweimal bis dreimal pro Woche Fleisch essen solle, jeweils maximal 100 bis 120 Gramm. Dies wäre zwar, unter dem Aspekt eines konsequenten Klimaschutzes, immer noch viel zu viel, aber doch wenigstens zweieinhalb Mal weniger als die Menge Fleisch, die im Jahre 2020 konsumiert wurde. Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Empfehlung durch den Bundesrat undenkbar gewesen. Drei Mosaiksteine, die aufhorchen lassen, die Anlass zu Hoffnung geben, die zeigen, dass an vielen Orten, oft im Kleinen und oft nur zaghaft, aber dennoch spürbar die Dinge in Bewegung gekommen sind. Noch sind zwar die Widerstände enorm. “Die Leute sollen essen, wozu sie Lust haben”, sagt etwa SVP-Nationalrat Mike Egger. Er will sich doch sein hart erarbeitetes Stück Fleisch nicht verbieten lassen. Und erst recht wenn es ans Auto geht, ans Einfamilienhaus, an die Ferienreise in die Südsee, an die Reise mit dem Kreuzfahrtschiff: Wer will sich denn schon all das, wofür er ein halbes Jahr lang hart gearbeitet hat, klauen lassen. Doch was klauen wir, die so tun, als gehörte die Erde uns ganz allein, was klauen wir all jenen Milliarden von Menschen, die noch nicht einmal geboren sind? Aktivisten und Aktivistinnen der Klimabewegung wird oft vorgeworfen, sie würden sich “antidemokratisch” verhalten. Doch tatsächlich trifft das Gegenteil zu: Es geht ganz und gar nicht darum, die Demokratie einzuengen oder gar abzuschaffen. Im Gegenteil: Es geht darum, die Demokratie auszuweiten – auszuweiten auf all jene Generationen, die nach uns kommen werden und die auch in 20, 50 oder 100 Jahren auf einer Erde leben möchten, die allen ihren Bewohnerinnen und Bewohnern, Menschen, Tieren und Pflanzen, ein gutes Leben ermöglichen wird. Sie alle, hätten sie schon heute als Ungeborene ein politisches Stimmrecht, sie alle würden noch die radikalsten Forderungen der Klimabewegung befürworten und sich mit allzu zaghaften, halbherzigen Massnahmen und Kompromissen ganz und gar nicht zufrieden geben. Mosaiksteine einer neuen Welt sind gut und wichtig. Aber es muss der Tag kommen, an dem solche Mosaiksteine nicht mehr seltene Ausnahmen sind, sondern mit vielen, vielen anderen Mosaiksteinen zusammen ein von Grund auf anderes Bild ergeben, das Bild einer neuen Welt.