Mit offenen Augen in den Abgrund

Die Heuchelei in Sachen Klimaschutz ist wirklich bemerkenswert. Wir wissen, dass wir wegkommen müssen von fossilen Brennstoffen. Wir wissen, dass wir, um die Klimaziele zu erreichen, weniger auf Öl und Gas setzen müssen. Aber derzeit passiert weltweit genau das Gegenteil: In den nächsten Jahren wird so viel Öl und Gas produziert wie noch nie zuvor. Allein der Öl- und Gas-Multi Exxon Mobil, eine der drei führenden Ölgesellschaften, wird laut «Economist» 2025 rund ein Viertel mehr Öl und gas produzieren als noch 2017… Gemäss Exxon Mobil wird die globale Nachfrage nach Öl und Gas bis 2030 um 13 Prozent steigen. Das ist der Grund, weshalb praktisch alle Ölfirmen ihren Output massiv erhöhen und neue Ölfelder suchen und in Betrieb nehmen… Eigentlich müssten wir die Öl- und Gasproduktion bis 2030 um 20 Prozent reduzieren und bis 2055 sogar um 55 Prozent, damit wir die Klimaerwärmung auf plus 1,5 Grad limitieren könnten. Der Trend läuft in die Gegenrichtung.. Jetzt kann man natürlich diese Ölfirmen verteufeln, doch diese reagieren nur auf Anreize aus der Politik und der Wirtschaft. Und diese Anreize spielen immer noch für die fossilen Energieträger. Niemand will die grossen Ölgesellschaften stürzen sehen, zu viele Anlage- und Pensionskassengelder sind in diesen Firmen investiert… Und natürlich würde sich das Geschäft der Ölgesellschaften nur dann dramatisch verändern, wenn etwas bei unserem Konsumverhalten passieren würde. Tut es aber nicht… Das Einzige, was bleibt, ist die Hoffnung auf irgendeine mirakulöse technische Erfindung, die das Problem für uns aus der Welt schafft, ohne dass wir unseren bequemen Lebensstil ändern müssten. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

(Reto Lipp, Wirtschaftsjournalist SRF, in: Tages-Anzeiger, 6. März 2019)

Die Beispiele zeigen, dass im Kapitalismus eben alles mit allem zusammenhängt. Deshalb gibt es keine Lösung des Klimaproblems innerhalb des kapitalistischen Systems. Das haben all jene Klimastreikenden, die ein Transparent mit der Aufschrift «System Change, not Climate Change» mit sich trugen, nur zu gut erkannt. Wie lange geht es, bis es auch Wirtschaftsbosse, Unternehmer und Politiker erkennen? Dass wir eine «mirakulöse technische Erfindung» machen, die das Problem aus der Welt schafft, ohne dass wir unseren bequemen Lebensstil ändern müssten, ist eine trügerische Hoffnung. Wenn, in einer nichtkapitalistischen Wirtschaftsordnung, die Raffgier nicht mehr an oberster Stelle steht, dann werden wir unseren Lebensstil in dem Masse zurückbinden müssen, wie er sich in den armen und ärmsten Ländern der Welt steigern und alles grenzenlos gerecht und gleichmässig verteilt sein wird.