Mehr Wohlstand durch mehr Klimaschutz? Ein Widerspruch in sich selber…

 

“Klimaschutz ist wirtschaftlich notwendig”, schreibt Javier Feller Valero im heutigen Tages-Anzeiger vom 19. Dezember 2020, “um unseren Wohlstand zu erhalten und auszubauen.” Und er rechnet nach: Zwischen 2011 und 2019 sei die Schweizer Wirtschaft um 13 Prozent gewachsen, während gleichzeitig der Energieverbrauch dank technologischem Fortschritt um 2 Prozent gesunken sei. Auf den ersten Blick eindrückliche Zahlen. Nur vergisst Valero zu erwähnen, dass die Schweiz nach wie vor einen ökologischen Fussabdruck von nahezu 3 aufweist, das heisst: Würden weltweit alle Länder so viel Energie und Ressourcen verbrauchen wie die Schweiz, dann bräuchten wir nicht nur eine, sondern drei Erden! Valero weist auch nicht auf die laufend wachsende Unmenge an Waren hin, die mit verheerenden ökologischen Auswirkungen im Ausland hergestellt werden, um dann in die Schweiz importiert und hier konsumiert zu werden. Ebenso wenig erwähnt Valero jene in der Schweiz ansässigen multinationalen Konzerne, die weltweit Raubbau an natürlichen Ressourcen betreiben und denen unser Land einen grossen Teil seines Wohlstands verdankt. Deshalb steht Valeros Behauptung, Klimaschutz sei notwendig, um unseren Wohlstand zu erhalten und auszubauen, auf wackligen Füssen. Es wäre wohl eine Illusion, wir könnten unseren Wohlstand, der heute schon den der allermeisten übrigen Länder der Welt übertrifft, nicht nur erhalten, sondern sogar noch ausbauen. Wollen wir denn noch mehr Güter konsumieren als bisher, wollen wir noch weitere Flugreisen unternehmen, noch mehr Fleisch essen, mit noch mehr und noch grösseren Autos unsere Strassen verstopfen als bisher? Nein. Echter Klimaschutz kann nicht Hand in Hand gehen mit einem grenzenlosen Wachstum des Wohlstands. Vielmehr braucht es eine Besinnung auf das Wesentliche. Vielleicht bringt es eine Klärung, wenn wir, anstelle von “Wohlstand”, die Begriffe des “guten Lebens” und des “Luxus” einander gegenüberstellen. Luxus, das ist all das, was sich einzelne Menschen oder Bevölkerungsgruppen nur deshalb leisten können, weil sie mehr Geld haben als andere, Annehmlichkeiten aller Art, auf die man aber auch verzichten könnte und dennoch ein “gutes Leben” hätte. Das “gute Leben” könnten wir so definieren, dass es sozusagen den Grundanspruch des Menschen auf ein Leben in Würde, in existenzieller und sozialer Sicherheit erfüllen würde, und zwar weltweit und auch in Bezug auf zukünftige Generationen. Dass sich dieses “gute Leben” von jenem “Luxus”, an den sich viele von uns über Jahre hinweg gewöhnt haben, deutlich unterscheiden würde, liegt auf der Hand. Ob wir wollen oder nicht: Wohlstand im Sinne von “Luxus” und grenzenlosem Wirtschaftswachstum ist unvereinbar mit einem Klimaschutz, der diesen Namen auch tatsächlich verdient. Ohne Verzicht, ohne Besinnung auf das Wesentliche, ohne eine grundlegende Debatte über das “gute Leben”, ohne soziale Gerechtigkeit werden wir es nicht schaffen, auch unseren nachfolgenden Generationen eine Erde zu hinterlassen, auf der sich gut, sicher und in Frieden leben lässt.