Massive Verluste der Schweizerischen Nationalbank: Ein globales Finanzsystem wie das Kaninchen vor der Schlange von Krise zu Krise

 

142 Milliarden Franken: So viel Geld wie in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 hat die schweizerische Nationalbank SNB noch nie verloren. Zu spüren bekommen das vor allem auch die Kantone, welche letztes Jahr von der SNB 6 Milliarden Franken erhielten und dieses Jahr nun leer ausgehen werden. Dies bedeutet, dass einzelne Kantone gezwungen sein werden, Sparmassnahmen zu ergreifen oder Steuersenkungen zurückzustellen.

„Wer in hohem Masse den Launen des Finanzmarktes ausgesetzt ist“, so kommentierte die Tagesschau des Schweizer Fernsehens SRF am 31. Oktober 2022 das Finanzdebakel der SNB, „bekommt das derzeit empfindlich zu spüren. Es müsste ein kleines Wunder an den Finanzmärkten geschehen, damit die SNB bis Ende Jahr doch noch wenigstens 50 Milliarden Gewinn schreiben könnte. Das Problem liegt darin, dass die SNB mit ihren riesigen Devisenbergen den Stürmen an den Finanzmärkten dermassen ausgeliefert ist, dass schon kleinste Zuckungen zu riesigen Verlusten führen können. Zuckungen in die andere Richtung könnten allerdings schon im nächsten Jahr wieder für hohe Gewinne sorgen. Nur sind Börsenprognosen in diesen unsicheren Zeiten noch weniger aussagekräftig als sonst.“

Launen des Finanzmarkts. Ein mögliches Wunder. Stürme an den Finanzmärkten. Schon kleinste Zuckungen. Spontan kommt mir dabei das Bild eines Kaninchens in den Sinn, welches zu Tode erstarrt vor der Schlange sitzt, die jeden Moment blitzschnell zubeissen könnte. Oder das Bild eines Erfinders, der ein Monster geschaffen hat, das immer grösser geworden ist und ihn nun auf einmal aufzufressen droht. Denn das globale Finanzsystem ist nicht erst seit der Ukrainekrise ein riesiges Monster voller „Zuckungen“, „Stürmen“ und „Wunder“, das hat sich schon seit Jahrzehnten in Form zyklisch auftretender Finanzkrisen, Börsenzusammenbrüchen, usw. immer wieder gezeigt. Laien haben schon längst keine Chance mehr, bezüglich globales Finanzsystem den Durchblick zu haben. Aber haben die Bankers, Ökonominnen und Börsenspekulanten einen so viel grösseren Durchblick? Hat sich da im Laufe von Jahrzehnten nicht ein so weit verzweigtes, weltumspannendes, komplexes und ineinander verflochtenes System herausgebildet, das niemand mehr, wenn er ehrlich ist, in seiner ganzen Tragweite noch zu verstehen vermag? „Weder ein Makler“, schrieb Bertolt Brecht, „der an der Chicagoer Börse ein Leben lang gearbeitet hat, noch Geschäftsleute von Wien bis Berlin konnten mir die Vorgänge an der Weizenbörse hinreichend erklären. Ich gewann den Eindruck, dass dies alles schlechthin unerklärlich ist.“ Das war vor 70 Jahren. Und trifft das nicht für heute, da virtuelles, erfundenes, spekulatives Geld in Sekundenbruchteilen um den Globus saust und schon weit höhere Ausmasse angenommen hat als alles „echte“, aus der Realwirtschaft gewonnene Geld, nicht erst recht zu?

Ganz laienhaft gefragt: Müsste Geld nicht vor allem den Bedürfnissen der Menschen dienen statt umgekehrt? Müsste Geld nicht vor allem ein Tauschmittel sein und nicht ein Machtmittel? Müssten nicht Börsengewinne, Spekulation und Devisengeschäfte sowie alle anderen Geschäfte, die das Geld von der Arbeit, von der Erde und von den Bedürftigen in die Taschen der Reichen und Mächtigen wandern lassen, schlicht und einfach verboten werden? Müssten nicht Banken, Finanzinstitute, Versicherungen und alle weiteren Unternehmen, die auf Kosten der Allgemeinheit Gewinne machen, vollumfänglich in den Dienst der Gesellschaft gestellt, verstaatlicht oder zumindest unter staatliche Aufsicht gestellt werden? Müsste man nicht auch den Sinn und Zweck von Zinsen, die stets zu einem Machtgefälle zwischen Schuldnern und Gläubigern führen, radikal in Frage stellen? Müsste nicht an die Stelle des Denkens und Handelns in Wachstumszahlen das Denken und Handeln in Kreisläufen treten? Müssten Banken nicht, statt Machtgebilde im Dienste der reichen Eliten, vielmehr ganz einfach Drehscheiben sein, um Geldflüsse stets dorthin zu lenken, wo sie einem guten Leben für alle, nicht nur in jedem einzelnen Land, sondern auch weltweit den grössten Nutzen bringen?

Meistens ist es nur die Macht der Gewohnheit, die uns davon abhält, neu zu denken. Wenn erst einmal das kapitalistische Wirtschaftssystem überwunden sein wird, werden sich spätere Generationen wohl höchst verwundert die Augen reiben, wenn sie die Bilder jener Banken sehen werden, die wie ägyptische Pyramiden, griechische Tempel oder mittelalterliche Kathedralen in den Himmel ragten als Zeichen einer Zeit, und in der das Geld mehr verehrt wurde und zugleich mehr Schaden anrichtete als alles andere in der Welt. „Die Leute“, sagte Bertolt Brecht, „glauben vor allem an Bestehendes und daran, dass wohl ein tieferer Grund vorhanden sein müsse, dass es noch bestehe, und dieser Grund ist doch oft nur der, dass alle daran glauben.“