Massaker, Gräueltaten, Zerstörungen, Vergewaltigungen: Ein kurzer Blick in die Geschichte des Kriegs…

 

Die 105 Männer der Kompanie rücken gemeinsam auf den Weiler zu. In den folgenden drei Stunden ermorden sie einen Grossteil der Dorfbewohner und Dorfbewohnerinnen, bei denen es sich ausnahmslos um Zivilpersonen handelt, lediglich ein Einziger ist bewaffnet. Die meisten werden in Gruppen zusammengetrieben und durch das automatische Feuer der Maschinengewehre und durch den Einsatz von Granaten getötet. Die Aktion geht einher mit der vollständigen Vernichtung der Lebensgrundlagen, indem Häuser und Ernteerträge verbrannt, das Vieh getötet und die Brunnen vergiftet werden. Zudem kommt es zu zahlreichen Vergewaltigungen.

Ein aktuelles, besonders krasses Beispiel aus dem gegenwärtigen Ukrainekrieg, welches einmal mehr die Grausamkeit der russischen Kriegsführung dokumentieren soll? Nein, weit daneben. Es handelt sich bei diesem Text vielmehr um die Schilderung des Massakers von My Lai, begangen von US-Soldaten an über 500 vietnamesischen Zivilpersonen am 16. März 1968. Wer heute die “bösen” Russen an den Pranger stellt, vergisst zu schnell, dass Gräueltaten und Vergewaltigungen, so zynisch dies klingen mag, in jedem Krieg sozusagen an der “Tagesordnung” sind, ganz unabhängig davon, ob es sich dabei um “böse” Russen oder “gute” Amerikaner oder Angehörige anderer Nationalitäten handelt. Allein im Vietnamkrieg wurden, wie die “Zeit” am 27. Februar 1976 berichtete, “tausende, wahrscheinlich Hunderttausende von vietnamesischen Frauen vergewaltigt.”

Wie ist das zu erklären? Eine interessante Analyse finden wir im Buch “Die USA im Vietnamkrieg” von Erik Fischer. Entführungen, Misshandlungen und Vergewaltigungen im Vietnamkrieg seien eine Folge der negativen Erfahrungen der Soldaten gewesen: Mangelerscheinungen von Schlaf und Nahrung, die Herausforderungen der Vegetation sowie die Gefahr eines allgegenwärtigen Todes durch einen kaum auffindbaren bzw. identifizierbaren Gegner. Dazu kämen die vielfältigen Erfahrungen des Verlusts: Verlust der Freunde und Kampfgefährten, Verlust des Vertrauens in sich selbst und seine Umwelt. Ängste und Schmerzen würden sich sodann in Wut, Hass und den Wunsch nach Rache transformieren, im Versuch, einen Platz in der Welt wieder einzunehmen, der einem genommen worden sei.

Auf einen weiteren wichtigen Aspekt weist Christoph Ege in einer auf www.grin.com veröffentlichten Seminararbeit aus dem Jahre 2006 hin: Im Vietnamkrieg hätten auf der Seite der USA so genannte “small units” von fünf bis 25 Soldaten agiert. Um zu überleben, hätte sich der Einzelne seiner Gruppe voll und ganz anpassen müssen. So etwa sei ein Soldat, der mit seiner kleinen Einheit im Dschungel agierte und bei der Verschleppung, tagelangen Vergewaltigung und schliesslich Ermordung einer jungen Vietnamesin nicht mitmachen wollte, von seinem Vorgesetzten als “Schwuler” und als “Küken” bezeichnet worden und man hätte ihm sogar mit dem Tode gedroht, falls er von seiner “unmännlichen Zurückhaltung” nicht ablassen würde. Sexuelle Machtausübung sei den Soldaten von ihren Vorgesetzten sogar explizit gefordert worden, weil diese dazu beitragen würde, die Kampfmoral, die Bereitschaft zum Ertragen von Todesängsten und die Fähigkeit zum Töten aufrechtzuerhalten. In dieser Optik soll der Krieg als Abenteuer, Spass und Ausleben von Heldentum und Männlichkeit erlebt werden, Krieg als ein Ort, wo man neue Dinge entdecken kann, ganz nach dem damals gängigen Werbespruch des Pentagons, wonach man in der US-Army lerne, “was es bedeutet, sich wie ein Mann zu fühlen.” 

Das Fazit: Im Krieg können auch die sanftmütigsten und friedfertigsten Männer zu Bestien werden, unabhängig davon, welchem Volk oder welcher Nationalität sie angehören – Beispiele dazu gibt es in der Geschichte der Kriege seit Jahrhunderten millionenfach. Die einzige Hoffnung, dass dies für immer ein Ende hat, besteht darin, den Krieg als Mittel der Konfliktlösung zwischen Völkern und Staaten für immer aus der Welt zu schaffen. Wenn der Krieg aufhört, dann hören auch die Gewalttaten, die Zerstörungen und die Vergewaltigungen auf, von denen wir in der Ukraine, aber auch in allen anderen Ländern, wo Kriege geführt werden, tagtäglich Zeugen sind. So einfach wäre das.