Lysistrata, Bertha von Suttner und Viola Amherd

Die Schweizer Bundesrätin Viola Amherd, erste Frau an der Spitze des eidgenössischen Militärdepartements, hat in ihrer neuen Tätigkeit bereits einige Akzente gesetzt. Insbesondere fordert sie eine separate, nicht mit anderen Vorlagen verknüpfte Volksabstimmung über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge. Zudem plädiert sie für eine massive Steigerung der gesamten Rüstungsausgaben im Umfang von 15 Milliarden Franken. So viel Geld hat noch kein Verteidigungsminister in der Schweizer Geschichte budgetiert.

(www.srf.ch)

Dass Viola Amherd als erste Frau das Militärdepartment übernahm, wurde als grosser Erfolg für die politische Gleichstellung der Frauen in der Schweiz gefeiert. Doch damit sollten wir uns auf keinen Fall zufrieden geben. Denn wenn diese Frau einfach die Politik ihrer männlichen Vorgänger weiterführt und diese sogar noch auf die Spitze treibt, dann hätten wir ja genau so gut einen Mann in dieses Amt wählen können…

Lysistrata, die «Heeresauflöserin», lehnt sich in der 411 v. Chr. erstmals aufgeführten gleichnamigen Komödie von Aristophanes gegen den Peloponnesischen Krieg auf, der zu diesem Zeitpunkt bereits 20 Jahre andauert. Wütend über die Männer als Verursacher von Krieg und den damit verbundenen Leiden, bringt Lysistrata die Frauen Athens und Spartas dazu, den Frieden zu erzwingen. Unter der Führung Lysistratas besetzen die Frauen die Akropolis und verweigern sich fortan ihren Gatten sexuell. Nach einigen Verwicklungen und Rückfällen führt der Liebesentzug tatsächlich zum Erfolg – der Krieg wird beendet. Genau 2300 Jahre später veröffentlichte die Deutsche Friedensaktivistin Bertha von Suttner den pazifistischen Roman «Die Waffen nieder!», der grosses Aufsehen erregte und Bertha von Suttner zu einer der prominentesten Vertreterinnen der Friedensbewegung machte. Sie beschrieb die Schrecken des Krieges aus der Sicht einer Ehefrau und traf damit den Nerv der Gesellschaft, die zu dieser Zeit in heftigsten Diskussionen über den Militarismus und den Krieg begriffen war. Das Buch erschien in 37 Auflagen und wurde in zwölf Sprachen übersetzt. Marie Eugenie delle Grazie schrieb in ihrem Nachruf auf Bertha von Suttner: «Der Titel dieses Buches steht aber schon heute auf der ersten Seite einer neuen Weltgeschichte!»

Wo ist heute von dieser weiblichen Radikalität noch etwas zu spüren? Weshalb sind wir so brav und so angepasst geworden? Wo und warum ist der Pazifismus auf der Strecke geblieben? Weshalb nehmen an den österlichen Friedensmärschen immer weniger Menschen teil? Wo sind die Zehntausende, die anfangs 2003 auf die Strasse gingen, um gegen den drohenden Irakkrieg zu protestieren, heute, 16 Jahre später, da sich mit dem Konflikt zwischen den USA und dem Iran eine möglicherweise noch viel grössere Katastrophe abzeichnet?

Lysistrata und Bertha von Suttner sind vielleicht die bekanntesten, aber längst nicht die einzigen Frauen der Geschichte, die sich gegen die Sinnlosigkeit von Kriegen engagierten. Diese Tradition hat leider mit der neuen Schweizer Bundesrätin keine Fortsetzung gefunden. Schade. Wieder einmal hat das herrschende Machtsystem eine potenzielle Widersacherin verschluckt und sogar zu einer seiner vehementesten Wortführerinnen gemacht. Wie geht es nun weiter? Was bringt den lange ersehnten Zeitenwandel? Welches sind die Forderungen des Frauenstreiktags vom 14. Juni? Streben auch die Frauen Machtpositionen nur deshalb an, um es den Männer gleichzutun? Oder besteht die Hoffnung weiter, sie würden diese Machtpositionen anstreben, um schliesslich die Macht als solche zu überwinden?