Lohndiskriminierung besteht nicht nur in unterschiedlichen Löhnen für Frauen und Männer

Die grössten Unternehmen der Schweiz haben ab 1. Juli ein Jahr Zeit, die Löhne ihrer angestellten Männer und Frauen auf Diskriminierung zu untersuchen. Die Unternehmen müssen ihre Analysen innert Jahresfrist vorlegen. Diese müssen anschliessend alle vier Jahre wiederholt werden, wenn die erste Analyse unerklärliche Ungleichheiten bei den Löhnen ergab.

(Tages-Anzeiger, 29. Juni 2020)

Das sind wichtige und notwendige Massnahmen gegen die nach wie vor vorhandene Ungleichheit zwischen den Löhnen für Frauen und Männer, die schweizweit immer noch bei acht Prozent liegt. Allerdings greifen solche Vergleiche zu kurz. Denn es werden ja nur die Löhne innerhalb des gleichen Berufs und der gleichen Position innerhalb der Firma verglichen. Lohndiskriminierung liegt aber auch vor, wenn eine Coiffeuse vier Mal weniger verdient als der Abteilungsleiter einer Firma. Es wird zwar immer gesagt, vergleichen könne man nur “gleichwertige” berufliche Tätigkeiten. Was aber heisst “gleichwertig”? Ist die Arbeit der Coiffeuse vier Mal weniger wert als die Arbeit des Abteilungsleiters? Ist die Arbeit einer Krankenpflegerin vier Mal weniger wert als die Arbeit eines Universitätsprofessors? Ist die Arbeit eines Gärtners drei Mal weniger wert als die Arbeit einer Rechtsanwältin? Ist die Arbeit einer Verkäuferin 400 Mal weniger wert als die Arbeit des UBS-Chefs Sergio Ermotti, der jährlich über 12 Millionen “verdient”? Es ist gut und recht, über Lohndiskriminierung der Frauen gegenüber den Männern innerhalb des selben Berufs und der selben Position in der Firma zu diskutieren. Aber die Diskussion müsste weitergehen und sich mit Lohnunterschieden ganz generell befassen. Dass zu viele dies verhindern möchten, weil es für sie zu gefährlich wäre und vieles bisher Selbstverständliche in Frage stellen könnte, versteht sich von selber. Denn vielleicht würde man ja dann eines Tages zum Schluss kommen, dass sämtliche berufliche Tätigkeiten gleich wertvoll sind, weil sie nämlich allesamt für das Funktionieren von Gesellschaft und Wirtschaft unerlässlich sind, und deshalb das einzig wirklich Gerechte ein Einheitslohn wäre, was all jenen, die heute noch weniger als den Durchschnittslohn verdienen, nicht nur grössere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und mehr Wohlstand verschaffen würde, sondern vor allem auch jenes Ansehen und jene Wertschätzung für ihre Arbeit, die sie schon längst mehr als verdient haben.