Lebensnotwendige Alternative zum “Freien Markt”: Auch Häuser und Brücken baut man nicht ohne Plan…

 

Gigantische Mengen an Fischen, die vor der westafrikanischen Küste gefangen und in chinesische Fischmehlfabriken transportiert werden, wo sie dann zu Futter für Lachse verarbeitet werden, die in norwegischen Aquakulturfarmen gezüchtet werden. Birnen, die in Argentinien geerntet, in Thailand verpackt und in den USA verkauft werden. Wein, der in Italien produziert, in die USA exportiert und später nach Deutschland transportiert wird, wo er billiger ist als der Wein, der auf direktem Weg von Italien nach Deutschland gelangte. Textilien, die in Bangladesch und anderen Billiglohnländern in so grosser Stückzahl hergestellt werden, dass nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen überhaupt verkauft werden können und der Rest im Müll landet. Die Liste liesse sich beliebig verlängern, beispielhaft für eine Weltwirtschaft, die nicht nur in ökonomischer, sondern vor allem auch in sozialer und ökologischer Hinsicht ausser Rand und Band geraten ist. Und dies nur deshalb, weil niemand an diesem geradezu heiligen Dogma des “Freien Marktes” zu rütteln wagt, wonach eben dieser “Freie Markt” die einzige und beste Art und Weise sei, Produktion und Wirtschaftsabläufe zu regeln und die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen. Was für ein Unsinn. Der “Freie Markt” folgt einem einzigen, die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen und der Natur zutiefst missachtenden Prinzip: Die Waren werden dort produziert, wo die Löhne am niedrigsten sind, und sie werden dort verkauft, wo die Menschen am meisten Geld haben, sie auch tatsächlich kaufen zu können. Mit dem Effekt, dass sich am einen Ende der Welt ein immer grösserer und sinnloserer Luxus anhäuft, während es am anderen Ende der Welt am Allernotwendigsten fehlt und Millionen von Menschen nicht einmal genug zu essen haben. Ob wir wollen oder nicht: Wenn wir das ändern wollen und wenn dieser Wahnsinn nicht noch immer weitere Blüten treiben soll, dann kommen wir nicht darum herum, das Dogma des “Freien Marktes” radikal in Frage zu stellen und uns nach einer neuen, an den tatsächlichen Bedürfnissen von Mensch und Natur orientierten Wirtschaftsordnung umzusehen. Diese neue Wirtschaftsordnung wäre eine Art Planwirtschaft. Ich weiss, dass sich bei diesem Wort bei unzähligen Zeitgenossen und Zeitgenossinnen die Haare aufstellen werden. Sie werden sogleich den Vergleich mit der Sowjetunion und anderen kommunistischen Staaten ins Feld führen und sie werden argumentieren, dass Planwirtschaft ein endgültig gescheitertes Wirtschaftsmodell sei. Doch Hand aufs Herz: Was ist grundsätzlich an einem Plan so schlecht? Jedes Haus und jede Brücke, die gebaut werden sollen, brauchen einen Plan. Jede Chirurgin und jeder Chirurg, der eine Operation vor sich hat, braucht einen Plan. Jeder Koch und jede Köchin brauchen, um ein Gericht zuzubereiten, einen Plan. Jeder Regisseur und jede Regisseurin, die ein Theaterstück auf die Bühne bringen wollen, brauchen einen Plan. Nur die Weltwirtschaft, das Grösste, Umfassendste und Komplexeste, was man sich nur vorstellen kann, soll ohne Plan auskommen? Nun, wie sähe eine solche moderne “Planwirtschaft” aus? Im Gegensatz zur Freien Marktwirtschaft, die auf möglichst schrankenlose Ausbeutung von Mensch und Natur sowie auf grösst mögliche Gewinn- und Profitmaximierung ausgerichtet ist, wäre die neue “Planwirtschaft” an einem möglichst sparsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen, an der Erfüllung der tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen auch für kommenden Generationen orientiert. Konkret: Erstens gälte das Prinzip möglichst kurzer Wege zwischen den Orten der Produktion und den Orten des Konsums. Zweitens wären alle wirtschaftlichen Aktivitäten den Leitideen der Sozial-, der Umwelt- und der Zukunftsverträglichkeit unterworfen. Drittens wäre die neue “Planwirtschaft” eine Wirtschaft “von unten”: Zunächst würden die Grundbedürfnisse befriedigt, und zwar über alle Grenzen hinweg; alle Menschen hätten genug zu essen, ein Dach über dem Kopf, ausreichende Kleidung, sauberes Trinkwasser, Zugang zu medizinischer Grundversorgung, Bildung und Kultur. Erst wenn alle diese Grundbedürfnisse befriedigt wären, bestünde der nächste Schritt darin, gewisse “Luxusgüter” herstellen, aber stets in aufsteigender Folge: Erst wenn sich ausschliesslich alle Menschen ein gewisses “Luxusgut” leisten könnten, würde die Produktion eines zusätzlichen, “nächst höheren” Luxusgutes in Angriff genommen, dies alles freilich stets im Rahmen der Sozial-, Umwelt- und Zukunftsverträglichkeit. Gegner und Gegnerinnen einer neuen “Planwirtschaft” werden ins Feld führen, dass dies das Ende jener Freiheit bedeuten würde, die wir heute mit dem Prinzip der “Freien Marktwirtschaft” verbinden und die darin besteht, dass es Firmen und Unternehmen gänzlich freigestellt ist, an welchem Ort, zu welchen Bedingungen und zu welchem Preis welche Produkte auf den Markt geworfen werden. Doch um was für eine Freiheit geht es da eigentlich? Wenn diese Freiheit darin besteht, dass tonnenweise vor der westafrikanischen Küste gefangene Fische über Tausende von Kilometern nach China geschafft werden, um in Form von Fischfutter noch einmal über Tausende Kilometer wieder nach Norwegen transportiert zu werden, dann verzichte ich noch so gerne auf eine solche Freiheit. Und erst recht kann ich nichts anfangen mit der “Freiheit”, unsere Erde und die natürlichen Lebensgrundlagen materiellem Profit zuliebe dermassen auszuplündern, dass für kommende Generationen nicht einmal mehr das Allernötigste zum Überleben übrig bleiben wird. “Freier Markt” oder “Neue Planwirtschaft” – das ist nicht bloss ein Gedankenspiel. Es ist die Frage, ob wir Menschen auf diesem Planeten eine Zukunft haben werden oder nicht…