Künstliche Intelligenz bei der Schreibproduktion: Ohne Kreativität gäbe es keinen Fortschritt und wir würden ewig die gleichen Muster wiederholen…

 

Künstliche Intelligenz schreitet auch in der Schreibproduktion unverzüglich voran. “Wenn ich ChatGPT bitte, mir einen Vorschlag zu machen, wie sich ein Buch über Produktivität im digitalen Zeitalter gliedern lässt”, schreibt der “Tagesanzeiger” am 12. Dezember 2022, “dann dauert es keine 20 Sekunden, bis diese Gliederung vor mir steht. Grosse Sprachmodelle wie GPT-3, LaMDA, Stable Diffusion, Bild- und Videogeneratoren wie Dall-e oder Codegeneratoren wie GitHub Copilot beginnen uns Menschen auch auf dem Feld der Kreativität zu schlagen – in Ausmass, Präzision und vor allem Schnelligkeit. Generative KI wird uns auch in unserem Menschenbild herausfordern. Die bisherigen Göttinnen und Götter, die Menschen, werden vom Thron gestossen. Das tut weh. Es ist eine schwere narzisstische Kränkung für die Menschheit, dass Technologie nun können soll, was bislang uns allein vorbehalten war.”

Es ist nicht bloss eine narzisstische Kränkung – eine solche wäre ja sogar noch heilsam, wenn das bisherige Verhalten des Menschen bloss sein Narzissmus gewesen wäre. Nein, es ist viel mehr und noch viel schlimmer. KI in der Schreibproduktion bedeutet nämlich früher oder später nichts weniger als das Ende jeglicher Kreativität, dieses grössten aller Schätze, die der Mensch der Maschine voraus hat. Verfechterinnen und Verfechter der digitalen Schreibproduktion behaupten zwar bis heute, auch der Computer sei zu Kreativität imstande. Sie tippen als Beweis zehn Wörter in ein Schreibprogramm und geben diesem den Auftrag, aus diesen zehn Wörtern ein Gedicht zu kreieren – und siehe da, es ist möglich. Und doch hat dies mit echter Kreativität nichts zu tun. Denn alle Vorgaben für das Schreiben des Gedichts wurden von Menschen erdacht, das neue Produkt ist so gesehen nicht etwas grundsätzlich Neues, das alles Bisherige überspringt und eine neue Wirklichkeit schafft. 

Nicht nur kann eine Maschine niemals im ursprünglichen Sinne des Begriffs kreativ sein. Zusätzlich bedroht sie auch die eigentliche Grundbegabung der Kreativität, die in jedem Menschen als mehr oder weniger verborgenes Talent vorhanden ist. Die Entfaltung von Kreativität setzt Zeit, Musse, ja geradezu Langeweile voraus, Zeiten, die es dem Menschen erlauben, aus dem Alltagstrott auszubrechen und in andere Wirklichkeiten einzutauchen. Gerade dies wird in einer Zeit, da sich laufend alles beschleunigt und die digitale Welt es erlaubt, hundert Dinge gleichzeitig zu erledigen, immer schwieriger. Echte Kreativität aber muss geübt werden – wenn hierfür nicht mehr genügend Musse und genügend Langeweile vorhanden sind, dann droht sie zu verkümmern.

Doch es geht nicht nur um die Kreativität. Es geht auch um die gesellschaftliche Weiterentwicklung. Die von Menschen gemachten Programm künstlicher Intelligenz widerspiegeln bloss die bestehende Gesellschaftsordnung, als gäbe es hierzu keine Alternative. Echter gesellschaftlicher Fortschritt aufgrund von unkonventionellen Ideen und Visionen ist aber nur möglich, wenn das Bestehende radikal in Frage gestellt wird. Und genau dies, das radikale Hinterfragen des Bestehenden, scheint immer seltener zu werden, was sich auch zunehmend bei akademischen Semester- oder Doktorarbeiten zeigt, die häufig bloss Zusammenfassungen – oder sogar Kopien – bereits bestehender Arbeiten sind und nur selten von Grund auf neue Ideen in die Welt setzen, eben genau deshalb, weil die zur Verfügung stehende Zeit meistens so dicht ausgefüllt ist, dass noch nicht entdeckte verborgene Schätze, die nur auf langen und schwierigen Wegen zu finden wären, gar nicht ans Tageslicht gelangen.

Ob die bisherigen “Göttinnen” und “Götter” der Kreativität, die Menschen, tatsächlich von ihrem Thron gestossen werden oder nicht, liegt einzig und allein an uns selber. Ob wir uns ganz und gar der Maschine ausliefern lassen wollen oder ob wir das Zepter in der Hand behalten und die Maschine nur nach Bedarf und von Fall zu Fall und stets mit der nötigen Distanz gebrauchen wollen. “Das wahre Zeichen der Intelligenz”, sagte Albert Einstein, “ist nicht Wissen, sondern Phantasie.” Und der maltesische Naturwissenschaftler und Schriftsteller Edward de Bono sagte: “Es besteht kein Zweifel, dass Kreativität die wichtigste menschliche Ressource ist. Ohne Kreativität gäbe es keinen Fortschritt und wir würden ewig die gleichen Muster wiederholen.”