Kriegstreiber und Kriegstreiberinnen, Pazifistinnen und Pazifisten: Wer ist denn da aus der Zeit gefallen?

 

Wenn es nach dem “Tagesanzeiger” vom 3. Februar 2023 geht, dann ist die deutsche Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann die “mächtigste Gegenspielerin” von Bundeskanzler Olaf Scholz und neben Christian Lindner die “bekannteste Figur der deutschen Liberalen”. Sie sei “nie lau”, eine “Wucht”, “schlagfertig und streitbar, sachlich und kompetent” und eine “leidenschaftliche Motorradfahrerin”, die es “rasant” liebe.

Weniger lobend sind die Worte, die der “Tagesanzeiger” für Strack-Zimmermanns Gegenspieler findet: Bundeskanzler Olaf Scholz zeichne sich durch “Zögerlichkeit” aus, Rolf Mützenich, SPD-Fraktionschef und bekennender Pazifist, “keile” in der Diskussion um Waffenliegerungen “postwendend zurück” und argumentiere “ätzend”. 

Auf der einen Seite also die “nie laue”, “streitbare” und “sachliche” FDP-Frau und auf der anderen Seite ein “zögerlicher” Bundeskanzler und sein “keilender” und “ätzender” Parteikollege, dem seitens der Befürworter zusätzlicher Waffenlieferungen “Ansichten von gestern” vorgeworfen werden. Ein Lehrstück, wie Sprache ganz subtil das Denken formt und in eine ganz bestimmte Richtung steuert. Entschlossenes Handeln für militärische Gewalt wird unbestritten als “Stärke” ausgelegt, Zurückhaltung bei der Eskalation als “Zögerlichkeit”, “Unentschlossenheit” und “Schwäche”. Solche Worthülsen verbauen jegliches tiefergehendes Nachdenken über Hintergründe und Auswirkungen politischen Handelns. Ein paar martialische Schlagworte und das bedingungslose Einstehen für Waffengewalt genügen schon, um zu den beliebtesten Politikerinnen und Politikern des Landes zu gehören, während Friedenspolitikerinnen und Friedenspolitikern, die nicht eine Zuspitzung, sondern eine Lösung des Konflikts suchen, unverhohlen “Ansichten von gestern” vorgeworfen werden. 

Besonders dramatisch, wie sich durch diese schleichende Verformung von Sprachbildern und medialer Aufbereitung das Denken selber schrittweise verändert. “Ansichten von gestern” werden, bewusst oder unbewusst, mit Denkvorstellungen gleichgesetzt, die heute keine Gültigkeit mehr hätten. Alles Vergangene wird in den Abfallkübel der Geschichte geworfen. Dass der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal gefordert hatte, es sei besser, hundert Stunden lang umsonst zu verhandeln, als auch nur eine einzige Minute lang zu schiessen, scheint längst vergessen zu sein. Doch die Vergangenheit ist nicht dazu da, auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen zu werden. Sie ist dazu da, aus ihr zu lernen. Denn es handelt sich um Wahrheiten, die aus tiefer Weisheit entstanden sind, aus den Visionen einer friedlichen und gerechten Zukunft ohne Waffengewalt und Kriege, die noch nicht vom allgemeinen Kriegsgetümmel und alles beherrschender Kriegstreiberei vernebelt waren. Dass diese Stimmen heute so wenig Gehör finden, während sich Politikerinnen und Politiker, deren einzige “Leistung” darin besteht, mehr Waffenlieferungen zu fordern, höchster Beliebtheit erfreuen, hat nicht das Geringste mit “zeitgemässem” Denken zu tun, sondern ist einzig und allein ein Rückfall in finsterste Vergangenheit.

Das für diesen “Zeitenwandel” schreiendste Beispiel ist die radikale Kehrtwendung der Grünen, die mit dem Slogan “Keine Waffen in Kriegsgebiete” noch zu den jüngsten Bundestagswahlen angetreten waren und nun an vorderster Front für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine kämpfen. Ist ihnen nicht bewusst, dass jeder Panzer auf der einen Seite der Front einen Panzer auf der anderen Seite der Front auffahren lässt? Dass jeder ukrainische Soldat, der im Krieg getötet wird, das Leben eines russischen Soldaten fordert? Dass jedes Haus, das auf der einen Seite der Front zerschossen wird, ein Haus aus der anderen Seite der Front in Grund und Boden zerstört? Kriege kann man nicht gewinnen, man kann sie nur verlieren, mit jedem Menschen, der dabei sein Leben verliert. “Probleme”, sagte Albert Einstein, “kann man nie mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.” Brasilien, China, Südafrika und Indien beraten gegenwärtig, ohne Schuldzuweisung an die eine oder andere Seite, einen Friedensplanung für die Ukraine. Was für eine Chance! Wäre es nicht allerhöchste Zeit, das Blatt zu wenden, ein wahrhaft neues Kapitel in der Geschichte aufzuschlagen und die Kriegslogik durch eine Friedenslogik abzulösen, bevor nicht vielleicht alles schon zu spät ist?