Kriege können nur so lange dauern, als die künstlich aufgebauten gegenseitigen Feindbilder nicht durchbrochen werden…

 

Die öffentliche Aufführung von musikalischen Werken russischer Komponistinnen und Komponisten wird vom ukrainischen Parlament verboten. 100 Millionen Bücher russischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller werden aus den ukrainischen Bibliotheken entfernt. Zahlreiche Strassennamen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew werden umbenannt, betroffen sind Alexander Puschkin, Leo Tolstoi, Anton Tschechow und 92 weitere berühmte russische Persönlichkeiten; eine Strasse erhält den Namen “Strasse der Helden des Regiments Asow”, jener ukrainischen Kampftruppe, die für ihre besonders grausamen Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung im Donbass bekannt ist. Sämtliche Gewerkschaften sollen entmachtet und alle verbrieften Arbeitnehmerrechte aufgehoben werden. Alle Oppositionsparteien ausser der rechtsradikalen Swobodapartei werden verboten, ebenso alle regierungskritischen TV-Sender. In Dnipropetrowsk wird eine Frau an einen Pfahl gefesselt und durchgeprügelt, weil sie auf Russisch kommuniziert hat – ähnliche Fälle sind auch von zahlreichen anderen Städten bekannt. Und der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko fordert die Wiedereinführung des Eisernen Vorhangs…

Schlagzeilen, die man in den westlichen Medien vergeblich sucht. Denn sie würden das Bild, welches von den politischen Machtträgern und Wortführerinnen des “freien” Westens zurechtgezimmert worden ist, bloss auf unliebsame Weise stören. Dieses Bild eines demokratischen, mustergültigen, heroischen Landes, das sich mit Haut und Haaren gegen einen bösen, gewalttätigen und verbrecherischen Despoten und seine ebenso rücksichtslose, vor nichts zurückschreckende Armee zur Wehr setzt.

Doch, wie der österreichische Philosoph Paul Watzlawick sagte: “Der Glaube, es gäbe nur eine Wirklichkeit, ist eine gefährliche Selbsttäuschung.” Doch nur diese Selbsttäuschung – auf beiden Seiten des Grabens zwischen dem “Guten” und dem “Bösen” – hält den Krieg in Gange: Dass jede Seite in der anderen einen dermassen grausamen, unnachgiebigen, ja geradezu teuflischen Feind zu sehen glaubt, dem gar nicht anders beizukommen ist als durch Waffengewalt. Und so werden alle unliebsamen Tatsachen, alles, was dieses Bild stören könnte, entweder verschwiegen oder, wenn es nicht mehr anders geht, als “Propaganda” oder gar als “Verschwörungstheorie” diskreditiert, womit man dann schon mal allen Zweiflern und Skeptikerinnen den Wind aus den Segeln genommen hat, denn wer wollte schon der feindlichen Propaganda oder einer “Verschwörungstheorie” auf den Leim gegangen sein.

“Der Aufbau von Feindbildern”, so der Autor Thomas Pfitzer, “ist die wirksamste Methode zur Manipulation der Massen.” Ist das Feindbild erst einmal geschaffen, die Trennlinien zwischen dem “Guten” und dem “Bösen” widerspruchslos gezeichnet und alle möglichen menschlichen Kontakte zwischen “Freund” und “Feind” unterbunden, dann braucht es auf beiden Seiten nur noch die notwendigen Stichworte und schon bewegen sich die Massen wie auf Knopfdruck in die gewünschte Richtung. Deshalb ist jegliches “Einheitsdenken” so gefährlich, es verunmöglicht den so unerlässlichen Gedanken, die so unverzichtbare Idee, dass alles auch ganz anderes sein könnte als so, wie es auf der Oberfläche erscheint. “Wenn man mit der Masse geht”, sagte Albert Einstein, “kommt man so weit wie die Masse. Wenn man den eigenen Weg geht, kommt man an Stellen, wo noch keiner war.”

Den eigenen Weg gehen, sich von der Masse absetzen, hinter den Scheinwirklichkeiten die Wahrheit zu suchen – nichts ist wichtiger als dies in einer Zeit, wo Menschen künstlich voneinander getrennt und zu gegenseitigen Feinden erklärt werden. Denn nur von Angesicht zu Angesicht können die Menschen erkennen, dass all das, was sie miteinander verbindet, ungleich viel stärker ist als das, was sie voneinander trennt. Deshalb können Kriege nur genau so lange dauern, als es den Mächtigen auf beiden Seiten gelingt, die gegenseitig aufgebauten Feindbilder aufrechtzuerhalten. Und das heisst: Der Frieden beginnt genau in dem Augenblick, da sich diese Feindbilder auflösen, um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen.