Klimawandel und Politik: Damit endlich nichts mehr so weitergeht, wie es immer schon weitergegangen ist

“Ich will höher, schneller, weiter”, sagt Martin Neukom, der grüne Zürcher Regierungsrat und Baudirektor, in den die Klimabewegung so grosse Hoffnung gesetzt hatte. “Aber ich muss akzeptieren, dass es nicht so läuft. Vorlagen zu erarbeiten, dauert. Alles muss von zahlreichen Juristen und Fachleuten geprüft werden. Ein Chefbeamter sagte zu mir: ‘Bitte keine neuen Ideen mehr. Es kann nicht alles gleichzeitig gehen.'” Und der frühere Regierungsrat Markus Notter meint dazu: “Man braucht zwei Jahre, bis man voll im Amt drin ist. Die Maschine läuft von selber. Neu ist nur der Mensch an der Spitze. Und die Maschine tut so, als ob der Neue schon hundert Jahre da wäre. Alles geht weiter, wie es immer schon weitergegangen ist.”

(Tages-Anzeiger, 19. Februar 2020)

Was wohl all die Familien in Australien, die durch die verheerenden Brände der letzten Monate all ihr Hab und Gut verloren haben, dazu sagen würden, wenn sie das wüssten? Und all die Bewohnerinnen und Bewohner zahlloser Südseeinseln, deren Wohngebiete schon in wenigen Jahren unwiederbringlich überflutet sein könnten? Und der Eisbär, der irgendwo im hohen Norden einsam auf einer winzigen Eisscholle herumtreibt, weil die grosse Eismasse, auf der er lebte, immer mehr in einzelne Stücke zerbröckelt? Haben wir wirklich noch die Zeit, neue Ideen auf die lange Bank zu schieben, Projekte gegen den Klimawandel jahrelang von einem Amt zum andern, von einem Juristen zum nächsten zu schieben, alles durch Vernehmlassungen hindurchzusieben, bis nichts mehr vom  ursprünglichen Inhalt übrig bleibt? Fast ist man versucht zu sagen, dass man eine solche “Maschine, die von selber läuft”, wohl doch eher als Diktatur denn als Demokratie bezeichnen müsste, eine sehr raffinierte Form von Diktatur freilich, die sich das Gesicht einer Demokratie zu geben versucht, in der aber in Tat und Wahrheit unerbittlich die Interessen der Wirtschaft und des Kapitals stets Vorrang haben vor den Interessen der Menschen. Da zeigt sich wieder, wie aktuell die Forderung nach einem “System Change” ist, welche die jungen Menschen bei den Klimastreiks auf ihren Transparenten vor sich her tragen. Damit endlich, es ist allerhöchste Zeit, nichts mehr einfach so weitergeht, “wie es schon immer weitergegangen ist.”