Klimastreik in Zürich: Auch der breiteste Fluss besteht aus nichts anderem als aus Milliarden von Wassertropfen…

 

23. September 2022, Klimastreik in Zürich mit rund 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Zurecht wird in der Begrüssungsrede auf dem Bürkliplatz darauf hingewiesen, dass schon vieles erreicht wurde und der bisherige Kampf alles andere als vergeben gewesen ist. Und doch steht dieser heutige Tage unter einem ganz bedrohlichen Schatten. Soeben nämlich hat der Krieg in der Ukraine durch die Drohung Putins, falls nötig Atomwaffen einzusetzen, eine weitere Eskalationsstufe erreicht. Auch ist allgemein bekannt, dass es noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg so viele bewaffnete Konflikte gegeben hat wie zurzeit, dass immer noch über 800 Millionen Menschen unter Hunger leiden, dass in viel zu vielen Ländern ausbeuterische, tödliche Arbeitsverhältnisse an der Tagesordnung sind, unzählige Menschen wegen ihrer politischen Gesinnung im Gefängnis sitzen und sich die Kluft zwischen Armut und Reichtum weltweit immer mehr verschärft. Und schliesslich ist da, nicht zuletzt, die Angst vor einem Winter, in dem nicht nur zahlreiche Notwendigkeiten des täglichen Lebens, sondern auch das Funktionieren weiter Teile der öffentlichen Versorgung und der Wirtschaft infolge eines umfassenden Energie- und Strommangels in Frage gestellt werden könnten. Und so ist es freilich alles andere als ein Zufall, dass zum Ende der Zürcher Kundgebung, auf dem Helvetiaplatz, über die Lautsprecher der Song “Hurra,die Welt geht unter” eingespielt und von den gleichen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die eben noch “System Change, not Climate Change” skandierten, lauthals mitgesungen wird. Ja, eine verrückte Zeit. Und eine fast unaushaltbare Mischung von Hoffnung, Resignation, Leidenschaft, Angst und Verzweiflung. 

“Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist, es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt” – dieser Liedtext der deutschen Rockgruppe “Die Ärzte” geht mir in diesem Augenblick durch den Kopf. Ja, niemand weiss genau, was diese Kundgebung der Klimajugend an diesem Tag in Zürich oder anderswo tatsächlich bringt. Da führt uns rein ökonomisches “Vernunftdenken” – welcher Einsatz hat welche Wirkung und lohnt sich das überhaupt – nicht weiter. Die Wirkung findet auf einer anderen Ebene statt, einer geistigen Ebene. Wenn Tausende von Menschen voller Leidenschaft auf der Strasse sind, für nichts mehr und nichts weniger als eine lebenswerte Zukunft singend und tanzend, dann muss das ganz einfach eine Wirkung haben, ob man will oder nicht. Eine Wirkung, die sich zwar nicht in Zahlen messen lässt, die aber umso tiefere Wurzeln schlägt, nicht nur bei denen, die aktiv mitmachen, sondern auch bei all jenen Schaulustigen, die am Rande der Strassen stehen und wohl von dieser unbändigen Lebensfreude und all den Botschaften auf den mitgetragenen Transparenten nicht gänzlich unberührt bleiben können.

Ja, es ist noch viel zu tun, sehr viel sogar. An allen Ecken und Enden. Und man möchte manchmal fast verzweifeln. Doch es ist genau dieses Engagement auf den Strassen mit der Klimajugend, das Flügel verleiht. Wir alle und ganz besonders die Älteren unter uns, welche dieses ganze Schlamassel angerichtet haben, sind es den jungen Menschen schuldig, ihren leidenschaftlichen Kampf für eine lebenswerte Zukunft, für den Frieden und für die Solidarität mit allen Armen, Unterdrückten und Ausgebeuteten dieser Welt zu unterstützen. Eigentlich bräuchte es nur wenig und schon wären statt 5000 Menschen bald 50’000 oder 500’000 auf der Strasse. Alle, die noch zögern, müssten bloss diese winzige Schwelle überwinden zwischen dem Gefühl, es nütze doch alles sowieso nicht, und dem Eintauchen in jenen Lebensstrom, der sie, sind sie erst einmal drinnen, nicht mehr loslassen wird. Jeder noch so weite Weg beginnt mit einem ersten Schritt, jeder noch so breite Fluss besteht auch nichts anderem als aus Milliarden von Wassertropfen. Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist, es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.