Kapitalismus lässt sich überwinden, aber nur, wenn genug Menschen dies auch wollen

 

Die Coronapandemie als Folge des immer ungezügelteren Vordringens der Menschen in bisher unberührte Lebensgebiete von Fledermäusen und anderen Wildtieren. Niedergebrannte Tropenwälder gigantischen Ausmasses, die sich in Wüsten verwandeln. Steigender Meeresspiegel, der die Wohngebiete von Millionen von Menschen zu verschlingen droht. Eine Million Tier- und Pflanzenarten, die vom Aussterben bedroht sind. 80 Millionen Flüchtlinge aus Kriegs- und Hungergebieten weltweit. Zwölfstundentage, Siebentagewochen, Hungerlöhne und Prügel für Textilarbeiterinnen in China, welche jene Kleider herstellen, die in den reichen Ländern des Nordens für Spottpreise verkauft oder ungebraucht fortgeworfen werden. Postkuriere, Hotelangestellte, Putzfrauen und Verkäuferinnen, die laufend wachsendem Zeitdruck ausgesetzt und gezwungen sind, sich im Kampf ums Überleben gegenseitig zu konkurrenzieren. Weltweite Einkommens- und Vermögensunterschiede zwischen Arm und Reich, die ins Unermessliche steigen. Eine Milliarde Menschen, die hungern, während in den reichen Ländern des Nordens ein Drittel der Lebensmittel im Müll landen. Eine weltweit von Jahr zu Jahr wachsende Zahl von Milliardären, während selbst in den reichen Ländern des Nordens immer mehr Menschen von Armut betroffen sind. Kreuzfahrtschiffe, Segelyachten, immer drastischer anschwellende Blechlawinen in den Grossstädten, Flugzeuge und Weltraumraketen, während Kinder in Afrika täglich barfuss zwanzig oder mehr Kilometer weit gehen müssen, um für ihre Familien das nötige Brennholz und Trinkwasser zu beschaffen. 200 Milliarden Dollar jährlich für die weltweite Rüstung – 130 Mal mehr, als das Welternährungsprogramm jährlich benötigen würde. Wie könnte da jemand noch behaupten, dass dies alles nicht das Ende des Kapitalismus ist? Die Frage ist doch schon lange nicht mehr, ob das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zusammenbricht, sondern nur noch, wie dieser Zusammenbruch erfolgen wird, ob in Form einer Apokalypse, die Bertolt Brecht dereinst mit dem Bild eines über den Abgrund stürzenden goldenen Wagens verglich, der die “schwitzenden Zugtiere” mit in den Abgrund reisst. Oder ob es uns rechtzeitig gelingt, inmitten der zerfallenden Mauern des Kapitalismus den Grundstein zu legen für ein neues Zeitalter, in der nicht mehr Raffgier, Profitmaximierung, das Streben nach immer grösserem Reichtum und die gnadenlose Ausbeutung von Mensch und Natur im Mittelpunkt stehen, sondern Liebe, Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität über alle Grenzen hinweg. Ja, wir leben in einer Zeit, da alles ausser Rand und Band geraten ist. Und ich verstehe alle, die ihre Hoffnung aufgegeben haben, in Resignation verfallen sind oder sich einfach in ihre privaten vier Wände zurückziehen. Und doch, so verrückt es klingen mag: Ich bin optimistisch. Der Verfall der bisherigen Ordnung führt uns vor Augen, wie eine Welt nach dem Kapitalismus aussehen könnte. Wir haben noch alles in der Hand. So wie der Kapitalismus aufgrund bestimmter Interessen von Menschen aufgebaut wurde, so kann er ebenso nach anderen Interessen auch wieder von Menschen abgebaut und durch etwas Neues, Besseres ersetzt werden. Es hängt nur davon ab, ob genug Menschen dies tatsächlich auch wollen. Es gibt keinen Grund, und schon gar nicht in der heutigen Zeit, davon auszugehen, dass der Kapitalismus die einzige, die letzte und die endgültige Form des Zusammenlebens auf diesem Planeten sein sollte. Die Vision eines neuen Zeitalters müssen wir glücklicherweise nicht aus fernen Welten herbeiholen. Diese Vision wird uns täglich millionenfach geschenkt, mit jedem Kind, das geboren wird. “Drei Dinge”, sagte der italienische Dichter Dante Alighieri, “sind uns aus dem Paradies geblieben: Sterne, Blumen und Kinder.” Was für ein Zeichen der Hoffnung: Die Kinder haben den Schlüssel zu einer neuen Zeit, den Schlüssel zum Paradies. Wenn wir ihnen folgen, dann können wir das Paradies hier und heute auf dieser Erde Wirklichkeit werden lassen und brauchen nicht zu warten, bis wir gestorben sind.