Der bekannte Schweizer Friedensaktivist Jo Lang kommt im „Tagesanzeiger“ vom 3. März 2023 in einem dreiviertelseitigen Interview prominent zu Wort. Mehr als einmal stolpere ich indessen beim Lesen des Interviews über Aussagen, die mich reichlich irritieren.
So behauptet Lang, Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland würden keinen Sinn machen, solange Putin seine Truppen nicht hinter die Grenzen von vor dem 24. Februar 2022 zurückgezogen hätte. Lang muss wissen, dass dies zwar ein schöner, aber ein völlig unrealistischer Wunschtraum ist. Bis zu einem solchen Zeitpunkt können, wenn überhaupt, noch Monate oder gar Jahre unermesslichen Leidens, unzähliger Todesopfer, endloser Zerstörungen verstreichen. Nein, es gibt keinen Grund, Friedensverhandlungen nicht unverzüglich aufzunehmen. Diese hätten ja unter anderem das Ziel einer militärischen Entflechtung und damit auch eines Abzugs der russischen Truppen aus den umkämpften Gebieten – zum Beispiel unter der Zusicherung der Ukraine, von einem NATO-Beitritt abzusehen.
Weiter bezichtigt Lang Sahra Wagenknecht ihrer „stalinoiden Vergangenheit“ – ein Vorwurf, den ich bis heute selbst bei den schärfsten Gegnern Wagenknechts in Deutschland bisher noch nirgends angetroffen habe. Lang versteigt sich hier zur bedenklichen Methode, Andersdenkende, wenn man ihnen keine genug stichhaltigen Argumente entgegensetzen kann, durch persönliche Verunglimpfungen anzufeinden.
Wagenknechts Engagement für Friedensverhandlungen sei, so Lang, „unredlich“. Woher nimmt nur Lang eine solche an den Haaren herbeigezogene Behauptung? Wenn sich in den vergangenen Monaten jemand leidenschaftlich, beharrlich, aufklärend, geduldig und selbst bei grössten Widerständen stets sachlich für eine friedliche Lösung des Ukrainekonflikts eingesetzt hat, dann ist es Sahra Wagenknecht.
Das von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer verfasste „Manifest für Frieden“, so Lang, „verharmlose“ die russische Aggression. Auch diese Behauptung trifft nicht zu. Sowohl Sahra Wagenknecht wie auch Alice Schwarzer haben den russischen Angriffskrieg stets in aller Deutlichkeit verurteilt. Dies entbindet aber längst nicht davon, auch die Gegenseite kritisch unter die Lupe zu nehmen, so etwa die seit Jahrzehnten vorangetriebenen Bestrebungen des Westens, die NATO bis an die Grenze Russlands auszudehnen.
Was den geplanten Ostermarsch vom 10. April betrifft, macht Lang klar, dass Transparente gegen die Wirtschaftssanktionen „nicht geduldet“ würden, obwohl er als Historiker doch wissen müsste, dass Wirtschaftssanktionen stets vor allem die Schwächsten treffen, so wie sich das 1991 bei den Sanktionen der USA gegen den Irak zeigte, denen eine halbe Million Kinder infolge fehlender Nahrung und fehlender Medikamente zum Opfer fielen.
Vorsorglicherweise, so Lang, sei die Schweizerische Friedensbewegung von der Teilnahme am Ostermarsch ausgeladen worden, weil sie „demonstrativ Verhandlungen statt Sanktionen“ fordere. Was ist das für eine Friedenspolitik, bei der ein Teil der Aktivistinnen und Aktivisten darüber entscheidet, was der andere Teil denken oder nicht denken darf? Können Denkverbote allen Ernstes ein Mittel auf dem Weg zum Frieden sein, der sich doch dadurch auszeichnen müsste, unterschiedliche Meinungen zu erlauben, statt sie zu unterbinden?
Ich hoffe, dass in einer der nächsten Ausgaben des „Tagesanzeigers“ ein Vertreter jener von Joe Lang diskreditierten Schweizerischen Friedensbewegung ebenso prominent zu Wort kommt, wie das bei Jo Lang der Fall gewesen ist. Alles andere wäre einer Tageszeitung, die sich Objektivität, Meinungsvielfalt und Demokratie auf die Fahnen schreibt, unwürdig.