Joe Biden und Donald Trump: Verkehrte Welt

 

Es gäbe, so der “Tages-Anzeiger” vom 4. Januar 2020, ernsthafte Gründe für die Annahme, dass Donald Trump 2024 wieder zum US-Präsidenten gewählt werden könnte. Wenn es Biden nicht gelänge, die Lage der Amerikanerinnen und Amerikaner deutlich zu verbessern, dann würden diese nämlich Trumps Vorwürfen Glauben schenken, dass Biden letztlich doch nur ein Vertreter der alten Elite sei, dem das Wohl der hart arbeitenden Amerikanerinnen und Amerikaner doch egal sei. Fürwahr ein Spiel mit falschen Karten. Denn natürlich stehen sich hier nicht in Gestalt von Donald Trump ein Volkstribun und in Gestalt von Joe Biden ein Vertreter der Eliten einander gegenüber. Beide sind Vertreter der Eliten, beide gehören jener auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung reich gewordenen Oberschicht an, welche den “hart arbeitenden Amerikanerinnen und Amerikaner” ein Dorn im Auge ist. Der Unterschied ist bloss, dass Donald Trump die Rolle eines Volkstribunen, der sich angeblich für das Wohlergehen der arbeitenden Menschen einsetzt, noch etwas geschickter zu spielen vermag als sein demokratischer Kontrahent. Wäre es ihnen mit der Verheissung, sich für das Wohlergehen sämtlicher Bürgerinnen und Bürger ihres Landes einzusetzen, wirklich Ernst, dann müssten sie lieber heute als morgen eine radikale Umgestaltung der herrschenden kapitalistischen Machtverhältnisse in Angriff nehmen – so, wie das von den demokratischen Parteilinken um Bernie Sanders gefordert wird. So lange aber weder Trump noch Biden eine solche radikale Umgestaltung in Angriff nehmen, wird aller Voraussicht nach mehr oder weniger alles beim Alten bleiben und der als Populist getarnte bisher erste Milliardär im Weissen Haus, der erst noch kaum je Steuern bezahlte, wird auch nach seiner Abwahl weiterhin Aufwind haben – umso mehr als Joe Biden höchstwahrscheinlich die Hoffnungen vieler Millionen Menschen, die ihn gewählt haben, früher oder später enttäuschen wird. Die gleiche Entwicklung wie in den USA können wir auch in Deutschland beobachten: Je mehr sich die Sozialdemokratische Partei von ihrer früheren Wählerbasis, der Arbeiterschaft, entfernt hat und selber Teil der herrschenden Machtelite geworden ist, umso mehr Zuspruch hat die “Alternative für Deutschland”, in deren Reihen sich genau jene zu kurz Gekommenen wiederfinden, die früher einer kämpferischeren SPD ihre Stimme gaben. Und nicht anders ist es in der Schweiz, wo viele Menschen aus der “Unterschicht”, deren politische Heimat früher die Sozialdemokratie war, heute in der Wählerschaft der SVP zu finden sind. Das Tragische ist, dass zwar alle Parteien in diesem Spiel um Macht und Einfluss immer wieder grosse Versprechungen abgeben, für die betroffenen Menschen, insbesondere für alle Benachteiligten und Zukurzgekommenen, aber mehr oder weniger alles beim Alten bleibt – solange nicht an den Grundfesten des kapitalistischen Machtsystems gerüttelt wird und der Aufbau einer neuen, nichtkapitalistischen, auf soziale Gerechtigkeit ausgerichteten Ordnung in Angriff genommen wird.